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Frühlingsreviere – Côte d’Azur vs Ligurien

Auf dem Rennrad gibt es für mich zwei Betriebsmodi: Hirn ein oder Hirn aus. Beide sind sehr wertvoll. Mal inspirierend, mal sehr erholsam. Im „Hirn ein“ Modus beschäftige ich mich gerne mit der Frage, wo sich Parallelen finden zwischen dem leidenschaftlich betriebenen Hobbysport und der unternehmerische Tätigkeit, siehe beispielsweise den Entrepreneur Blog aus dem Jahre 2016.
In diesem Blogbeitrag versuche ich die Terminplanung meiner Frühlingsreiseangebote 2019 in den Kontext des sehr akuten Themas „Transformation“ zu stellen, wohl wissend, dass ich dabei eine bereits zu einer Institution gewordenen Reise zu Grabe trage.

Blick auf die Cinque Terre

Ligurien: Blick auf die Cinque Terre

Blicken wir zurück: 10 Jahre ist es mittlerweile her, dass ich Quäldich vorgeschlagen hatte, in Ligurien einen Saisonauftakt in Ligurien zu machen. Vorausgegangen waren regelmässige Erkundungsreisen während einiger Jahre in der Region, um die Strassen, Pässe und lokalen Gegebenheiten kennenzulernen. Rausgekommen ist dabei eine erste und unvergessliche Reisewoche 2008, bei welcher wir sämtliche halbwegs vernünftigen Trainingsmethodiken in den Wind geschlagen haben, sinnlos Höhenmeter und absurde Steigungsprozente eingebaut haben. Gleichzeitig war es der Beginn einer ernsthaft betriebenen Reiseaktivität, die mittlerweile ein stattliches Ausmass angenommen hat und Quäldich zu einem wichtigen Reiseanbieter hat werden lassen. Daher wurde dieser Saisonauftakt auch zu einer Art Legende für uns und auch für Quäldich.

Typisch ligurische Farben bei Chiavari

Typisch ligurische Farben bei Chiavari

Klarer Fall daher, dass diese Reise fortan ihren fixen Platz im Reiseprogramm von Quäldich als auch der Ferienplanung vieler Wiederholungstäter hatte.
Dieser Saisonauftakt war aber auch in anderer Hinsicht einzigartig: die Reiseangebote waren neu, Ligurien als Rennrad Destination war neu, Chiavari und dessen vorzügliche Lage für die Tourenplanung kannte ausser mir eh niemand. Dieser erste Saisonauftakt war für alle Teilnehmer eine grosse Unbekannte und die beste Motivation für ihr Wintertraining. Ich erinnere mich gut an die Woche: es war kühl, aber einzig am letzten Tag regnerisch und neblig, vorher nur Sonne. Aber wir hatten bis zu diesem letzten Tag dermassen alles aus uns rausgequetscht und übertrieben, dass die kurze Runde über den Passo Romaggi zwar unangenehm kühl, aber eben vor allem kurz war.
In den Folgejahren habe ich dann alles erlebt: nasse Wochen, unglaublich milde Wochen und jede Couleur an Rennrad Teilnehmer.

Eines kristallisierte sich aber immer deutlicher heraus: Die anspruchsvolle Topographie Liguriens wurde von den Neuankömmlingen durchs Band unterschätzt, die Wiederholungstäter hingegen wussten um die Vorzüge, die Chiavari auch abseits der Rennrad Touren zu bieten hat, so dass das sportliche Niveau gegenüber der Erstaustragung insgesamt sank.

Côte d’Azur: Traumhafter Strassenbau, Col St. Roch

Kommen wir zur Gegenwart: Ich habe mich von Quäldich verabschiedet, veranstalte meine Reisen unter der eigenen Firma Cycling Adventures und das Reisejahr 2018 liegt hinter mir mit zwei Frühlingswochen Côte d‘Azur und zwei Wochen in Ligurien.

Als Unternehmer – und das ist man als Organisator einer Reise – sollte man immer wieder mal eine Standortanalyse vornehmen. Diese darf und soll durchaus von einem Bauchgefühl beeinflusst sein, jedoch nicht von Sentimentalität und Emotionen. Der Zeitpunkt, wann eine Analyse gemacht wird, ist daher entscheidend. Ich kann nicht geplant eine Analyse meiner unternehmerischen Aktivitäten betreiben. Das passiert einfach, die Gedanken kreisen, oft beim Radfahren, und plötzlich hat man für sich Entscheidungen getroffen.

Wir hatten einen tollen Saisonauftakt 2018 in Ligurien. Eine super Gruppe, unglaublich mildes Wetter (deutlich wärmer als die zweite Woche im Mai, gestöhnt wurde in erster Linie über Hitze und Durst), herrliche Touren, Swimmingpool nach den Touren, ausschweifende Abende mit Unmengen an leckerem Essen und Absacker bei lauen Temperaturen bis tief in die Nacht.

Côte d’Azur: Après Tour Bier in Vence

Keine Frage, dass ich nach der Woche, als ich direkt zum Saisonauftakt an die Côte d‘Azur fuhr, diese Woche 2019 wieder einplanen würde. In der Euphorie geflissentlich verdrängte, dass die Tourenplanung wie immer beim Saisonauftakt ein Eiertanz war, weil ich die Gruppe hart an ihre Leistungsfähigkeit brachte und für einige Leute ein komplett radfreier Ruhetag mehr als notwendig war.

Gut, dass ich danach gleich eine Woche an der Côte d‘Azur hatte. Diese stand der Woche in Ligurien in nichts nach. Top Wetter, eine lustige und motivierte Truppe und da wir nun schon das zweite Jahr und folglich die vierte Reisewoche in Vence waren, gestaltete sich auch das Après Touren- und Abendprogramm ausschweifender als im Vorjahr. Der kleine, aber feine Altstadtkern von Vence wurde häufig frequentiert.

Provence: Blick über die Ausläufer des Mercantour

Auf der Heimreise von Nizza hatte ich dann ausgiebig Zeit, mir Gedanken über die vergangenen zwei Wochen zu machen. Die Autobahnstrecke Nizza-Genua ist recht stark befahren und ich wusste um eine mühsame Baustelle. Da ich bereits in Ventimiglia an der Mautstelle länger im Stau stand, hatte ich die grandiose Idee, statt der Autobahn den Schleichweg durch das Valle Roya und den Tenda Tunnel zu nehmen. Wie so oft erwies sich die Idee, nicht wie die Lemminge der Autobahn zu folgen, als ausserordentlich beschwerlich und zeitintensiv (vulgo Schnapsidee). Vor allem angesichts einer Grossbaustelle am Tenda Südportal und einer halbstündlich geregelten, wechselseitigen Befahrung des Tunnels. Die Uhr stand bei meiner Ankunft auf 27 Minuten – herunterzählend.

Côte d'Azur / Provence: Abfahrt auf top Strasse

Côte d’Azur / Provence: Abfahrt auf top Strasse

So ergab sich die Gelegenheit automatisch, sich die Ruhe und Zeit zu nehmen für eine ehrliche Analyse und Planung der Frühjahrsreisen 2019.
Eine ehrliche Analyse bedeutet, emotionale Faktoren so weit wie möglich auszuschliessen. Bei Ligurien ist der emotionale Aspekt, dass es die Reisedestination ist, mit welcher ich zur Tätigkeit des Reiseorganisators gekommen bin, Chiavari, das mein zweites Zuhause geworden ist und die Erinnerung an den legendären Saisonauftakt. Bei der Côte d‘Azur ist die Emotionalität, dass es für mich immer noch neu ist, bisher unbekannte Strassen entdeckt werden können, Touren und Tourenvarianten möglich sind, die ich noch nie gefahren bin. Aber nach zwei Reisejahren und zwei Vorbereitungsjahren war der Moment gekommen, die Côte d‘Azur auf einen ehrlichen Prüfstand zu stellen.

Ligurien: Ruhetag in Camogli

Eine rationale Entscheidung lässt sich auf der Basis von Fakten, also Zahlen, treffen. Welche Zahlen gibt es? Klimatische Kennzahlen und Erfahrungswerte zur sportlichen Leistung. Zwar sprechen die Klimadiagramme in den frühen Frühlingsmonaten klar für die Côte d’Azur, doch beim Wetter ist es ja so eine Sache. Klimatische Durchschnittswerte hat man eh nie in einer Woche. Ein direkter Vergleich der Reisewochen der vergangenen zwei Jahre liess in dieser Disziplin jedenfalls keinen Sieger erkennen. Und klar: in Vence hätte man den Vorteil, bei schlechtem Wetter Hausrunden in der küstennahen Hügelzone zu fahren, welche sich auf maximal 300 Meter über Meer erhebt. In der Praxis war die Anzahl Reiseteilnehmer, welche bei Regen fahren wollten, dann doch sehr überschaubar.

Vence, Côte d’Azur: schöne, kleine Altstadt

Was die Leistungsdaten angeht, zeigten sich aber deutliche Unterschiede. Und je besser wir die Côte d’Azur kennen, je genauer wir die Touren auf die sportlichen Möglichkeiten der Teilnehmer abstimmen können, umso mehr spielt diese Region ihre Stärken gegenüber Ligurien aus. Vor allem in der jeweils ersten, frühen Reisewoche. So kamen bei den Côte d’Azur Wochen im Schnitt ca. 700km zusammen, in Ligurien lag dieser Wert eher bei 550km, notabene bei mehr Höhenmetern. Und vor allem die Art der Höhenmeter: Muss man an der Côte d’Azur die Steigungen über 5% schon fast gezielt suchen, liegen die Anstiege in Ligurien in der Regel deutlich drüber.
Und das hat Folgen. Die ligurischen Touren kosten einfach deutlich mehr Substanz und die Teilnehmer bauen über die Woche viel stärker ab als an der Côte d’Azur. Was zur Folge hat, dass für viele Teilnehmer der ersten Reisewoche trotz einem Regenerationstag während der Woche am Ende nur noch eine kurze Runde machbar ist. Und diese Tour aufgrund des Erschöpfungsgrades auch nicht mehr richtig genossen werden kann. An der Côte d’Azur kann ich hingegen in der Regel bei allen Touren planerisch aus dem Vollen schöpfen.

Ligurien: Abschied vom Rennrad Saisonauftakt

Als die Uhr am Tenda Südportal signalisierte, dass ich Frankreich auf meiner Heimreise in 5 Minuten durch die Tunnelfahrt Richtung Piemont würde verlassen können, war auch eine Entscheidung gefallen. Vielen schönen Erinnerungen und unvergessliche Touren zum Trotz würde ich 2019 keinen Saisonauftakt mehr anbieten und mich in Ligurien auf die beiden Monate beschränken, in welchen man dort am schönsten Radfahren kann: im Mai und im September. Das Rennen um die frühen Frühlingsmonate hat die Côte d’Azur für sich entschieden. Nicht umsonst trifft man zu dieser Zeit oft die Profis bei ihrer Saisonvorbereitung dort an.

So freue ich mich auf den näher rückenden Saisonstart im März und April an der Côte d’Azur und eine intensive Woche im Mai in Ligurien mit bereits ordentlich gestärkten Beinen, denn diese sind für die ligurischen Hügel Pflicht.

Zu unseren:
Rennrad Reisen an die Côte d’Azur/Provence-Alpes
Rennrad Reisen nach Ligurien

Ein Beitrag von:
Lukas Kamber
Italophiler Schweizer. Geboren in einem kleinen Bauerndorf nahe Bern, war das Rad von Kind an ständiger Begleiter zwecks Mobilität. Viel zu spät – dafür umso intensiver – die Liebe zum Rennrad wiederentdeckt und damit das Naturerlebnis in den Bergen. Aktuell sind offroad Entdeckungsfahrten mit dem Gravelbike hoch im Kurs.
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