The five minute Wiggo
Jeder hat eine, eine kleinste sich lohnende Hausrunde. Die Runde, die man auch mit wenig Zeit gerade noch mit gutem Gewissen in den übervollen Terminplan reinquetschen kann. Bei mir ist das eine Rundtour von Luzern über Nebenstrassen Richtung Osten. Der höchste erreichte Punkt ist dabei die Gabelegg, eine bessere Bodenwelle ab Udligenswil, gegenüber der Rigi. Beachtlicher 11 % Steigungsschnitt, aber leider nur für 155 hm. Naja, in der Not frisst der Teufel Fliegen. Immerhin ist oben die Rundumsicht von den Glarner bis zu den Berner Alpen wunderschön.
Wiggo als Ansporn
And now for something completely different: 7. Juni 2015: Der Tour de France Gewinner von 2012, Sir Bradley Wiggins, genannt Wiggo, bricht in London den Stundenweltrekord. Wegen hohem atmosphärischem Druck ist es ihm nicht vergönnt, die angepeilten 55 km zu knacken. Trotzdem zerstört er aber locker den alten Rekord von Alex Dowsett.
Die dahinterstehende Leistung hat mich fasziniert; eine Stunde lang hat Wiggo mit 440 Watt in die Pedalen reingehämmert. Abartig. Wie schnell wäre er da einen Berg hochgefahren? Der Wiggo bringt ebenso wie ich etwa 70 kg auf die Waage, und da bei Bergfahrten nur Watt pro Kilogramm relevant sind, sei es noch in dieser Währung ausgedrückt: 6.3 Watt/kg. Spontan hat es mich interessiert, ob auch ich in ähnliche Leistungs-Sphären vorstossen könnte, wenn auch natürlich nur für kurze Zeit.
Und damit zurück zu meiner Hausrunde. Eigentlich passt die Strecke optimal für dieses Experiment. Zuerst eine halbe Stunde einrollen, dann All-In die Gabelegg hoch und anschliessend gemütlich ausrollend zurück.
Ich probiere das erstmals Ende Oktober 2015, ohne zu wissen, was mich genau erwartet. Etwas zu langsam lege ich los und brauche fast sechs Minuten für die Strecke. Keuchend, aber mit dem Wissen, dass das noch schneller geht, kurve ich heimwärts. Beim zweiten Mal greife ich schon etwas mehr an, und die Steigungsrate erreicht 1600 hm/h. Immerhin. Scheinbar gewöhnt man sich an die Belastung. Beim vierten Versuch komme ich erstmals auf über 400 Watt im Schnitt. Bei Episode fünf legt mich ein Traktor lahm, der in der Hälfte den Weg blockiert, too bad.
Bei fünf Minuten Belastung muss halt auch das Pacing perfekt stimmen. Das ist ähnlich wie beim 2000 m Lauf: Zu schnell gestartet und du explodierst, zu langsam und du erreichst die gewünschte Zeit nicht. Am besten gelingt mir dies Mitte November: In der ersten Minute fühlt es sich locker leicht an, da kann man halt noch das Kreatinphosphat verpulvern. Irgendwann geht das aber zur Neige und langsam schleicht sich die Säure an. 400+ Watt sind doch leider deutlich über meiner Schwelle. Der Puls schiesst nach oben, die Atmung wird immer heftiger. 17 km/h bei 11 % Steigung, bist du deppert. Ich merke, dass es rund läuft, und düble umso vehementer Richtung Ziel. Auf den letzten Metern versuche ich noch zu sprinten. Absolut am Ende drücke ich oben nach 5:10 min auf die Uhr. Sanitäter!! Wo ist denn das Sauerstoffzelt hier?!
Als mein Hirn langsam wieder mit ausreichend Sauerstoff versorgt wird, beginne ich zu rechnen: Wow, das war schnell, 1800 hm/h! Und die Wattmessung spuckt die Zahl 420 aus. Fehlen also „nur“ noch zehn Sekunden zum „Five minute Wiggo“, mit exakt 5 Minuten würde ich nämlich die 440 Watt erreichen. Zwei Wochen später verletze ich mich leider wieder mal und so bleibt dies vorest ein Traum. Aber wer weiss, vielleicht klappt es ja mal irgendwann in Zukunft. Jedenfalls hat dieses kleine Bergzeitfahren meine Hausrunde wesentlich interessanter gemacht. Es gibt dabei jetzt ein Ziel, auf das ich zusteuern kann – und das ist genau das, was ich brauche.
Addendum
Bislang habe ich am Limit bestenfalls 6 Watt/kg für diesen kurzen Hügel getreten. Wird an einem richtigen Berg in einem Profi-Strassenrennen die 6 Watt Schwelle im Schnitt überschritten, so kommen jeweils unsere Rennradskeptiker auf den Plan und werfen mit Dopinganschuldigungen um sich. Es folgen dann bekannte Aussagen wie „rein physiologisch unmöglich“ und ähnlicher Schwachsinn. Wie wenn es sich hier um Mathematik handeln würde und es entsprechende Beweise gäbe. Mein kleines Bergzeitfahren hat mich in der Hinsicht überzeugt, dass solche Leistungen sehr wohl noch möglich sind. Es ist mir klar, dass meine fünf Minuten sehr weit weg sind von beispielsweise einer Stunde. Und auch ist mir klar, dass die Profis selten optimal ausgeruht sind, wenn sie solche Leistungen erbringend volles Rohr in den Berg reinbrettern. Trotzdem, es sind nun mal die besten der Welt. Rein statistisch gesehen muss bei der schieren Masse an Rennradfahrern einfach das eine oder andere Ausnahmetalent vorkommen. Fahrer, bei denen halt alles passt, von den Genen über die Förderung bis hin zum gesamten Umfeld. Es ist ähnlich wie beim Lotto: Bei genügend vielen Spielern gewinnt einer den Jackpot.
Ich habe den Jackpot sicher nicht geknackt, habe ich doch erst mit dreissig Jahren mit Ausdauersport beziehungsweise Rennradfahren angefangen, zu einem Zeitpunkt, bei dem die wichtigste Aufbauphase bereits vorbei ist. Da muss es einfach noch viel Luft nach oben geben.
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