Der Rennradfahrer – ein Entrepreneur
Ich möchte diesen Beitrag mit einer kleinen Betrachtung des Wortes «Karriere» beginnen. In meinen Augen wird in unserer Gesellschaft die berufliche Karriere viel zu eng mit Erfolg, insbesondere mit monetärem Erfolg, in Verbindung gebracht. Wikipedia sagt zu Karriere:
Die Karriere oder berufliche Laufbahn (von französisch carrière) ist die persönliche Laufbahn eines Menschen in seinem Berufsleben.
…
Das Wort Karriere bedeutet dem Wortsinn nach schlicht Fahrstraße (lateinisch carrus „Wagen“). Der Begriff im exakten Sinne bezeichnet also jegliche berufliche Laufbahn, ganz gleich ob sie als Auf- oder Abstieg wahrgenommen wird ….
Karriere und Erfolg
Ich sehe die Karriere wie das Palmarès beim Rennradfahren. Die Herkunft des Wortes von der Fahrstrasse ist damit die erste Parallele zwischen Job und Rennradfahren: einige können viele namhafte Alpenpässe auflisten, andere begnügen sich mit weniger berühmten Trophäen. Hauptsache, man ist stolz drauf und die Zeit, sich das Palmarès zu erarbeiten, hat einem Freude bereitet.
Ich persönlich bin zufrieden und stolz auf meinen beruflichen Werdegang. Und dies habe ich zu grossen Teilen auch dem Rennradfahren zu verdanken.
Für mich bedeutet Erfolg, also beruflicher Erfolg, nicht in erster Linie, Ende des Monats eine fette schwarze Zahl gutgeschrieben zu bekommen. Natürlich, Geld ist wichtig, und es ist wichtig, genug davon zu haben. Aber Geld gibt man ja vorwiegend in der Freizeit aus. Und wenn man diese grösstenteils auf dem Rad verbringt, dann sind die Ausgaben überschaubar. Klar, ab und zu ein Leichtsinn muss sein, aber sonst sitzt man ja meist im Sattel und geht früh ins Bett. Also kaum Ausgaben.
Aber jenseits der wirtschaflichen Aspekte, finde ich in meiner Arbeit sehr viel Befriedigung. Als Web-Agentur sieht man in viele unterschiedlichste Branchen, hat daher mit ganz verschiedenen Leuten zu tun und kann versuchen, deren Unternehmen besser am Markt zu positionieren. Das gelingt auch meistens und die Resultate sind zwar nur virtuell, sollen sich aber doch in der Realität niederschlagen. Das ist befriedigend und macht Spass.
Entrepreneurship
Was mir aber eigentlich am meisten Befriedigung gibt, ist der Umstand, die Geschicke der Firma selbst beeinflussen zu können. Entrepreneurship, ein sperriges Wort, das ja eigentlich nur Unternehmertum oder Unternehmergeist bedeutet, sagt doch irgendwie noch etwas mehr aus. Entrepreneur … das gefällt mir.
Ich bin zu einer Zeit aufgewachsen, als es cool war, Rebell zu sein, nicht mit der Masse zu schwimmen. Ohne jetzt auf heutige Zustände, gar die heutige Jugend oder die Veränderungen unserer Gesellschaft zu jammern: was mir echt zu Schaffen macht, ist dieses „me too“. Das hat sich so fundamental verändert zu unserer Jugendzeit. All dieses Normierte, Gleichgerichtete, das was alle machen ist gut und über Sonderlinge rümpft man die Nase. Das ödet mich so dermassen an. Ich glaube, es ist massgeblich ein Produkt der Werbung. Und ich schätze mich glücklich, dass diese stereotypisierende Werbung mich nicht erreicht. Wir haben keinen Fernseher und mein Weg von meinem Zuhause am Waldrand zur Arbeit mit dem Rennrad führt fast ausschliesslich durch die Natur, fernab von Werbeplakaten und der Hirnwäsche, welche Kleidung ich mir eigentlich kaufen sollte um nicht völlig abzufallen. Wie dem auch sei, das ist eigentlich ein anderes Thema.
Aber: in meinem Augen hemmt das „me too“ Denken den Entrepreneurship. Und das finde ich schade und volkswirtschaftlich schlecht. Der StartUp-Geist, die Bereitschaft, etwas Neues auszuprobieren, neue Wege zu beschreiten, steht in krassem Gegensatz zu dem stereotypen Denken der heutigen, junger Generation.
Stimmt doch alles gar nicht
Natürlich ist oben Gesagtes lediglich eine wilde These von mir, bewusst auch etwas provokativ. Und man mag kontern, dass die nackten Zahlen eine andere Sprache sprechen. Stimmt, ich kenne sie auch. Firmengründungen in der Schweiz sind nicht rückläufig, stagnierend zwar, aber noch zeigt die Tendenz nicht nach unten. Aber gerade angesichts der Möglichkeiten, die sich heute bieten, digitale Revolution, neue Formen der Kollaboration, örtliche und zeitliche Unabhängigkeit und ganz wichtig, die uneingeschränkte Verfügbarkeit von Informationen und Dokumenten im Web, dann finde ich die Stagnation eigentlich ziemlich enttäuschend. Ein Zuwachs ist – in der Schweiz – auch nur bei Unternehmen mit weniger als 1 Vollzeitäquivalent zu beobachten. Logisch. Nie war es so einfach, neben seinem Brotjob noch ein Feierabendunternehmen zu betreiben. So wie wir neben unseren «richtigen» Jobs noch Cycling Adventures betreiben.
Der unbequeme Weg
Es ist halt beschwerlich, auch etwas unbequem. Es ist einfacher, normiert zu sein, es ist bequem, sich nicht zu exponieren, keine Angriffsfläche zu bieten. Und das tut man, sobald man sich wagt, etwas auf die Beine zu stellen. Und – egal welche Erleicherungen einem die digitale Welt heute bietet- es braucht viel Durchhaltevermögen, ein Projekt von Anfang bis zum Ende durchzuziehen oder sich an ein StartUp zu wagen.
Welcher Typ Mensch entschliesst sich, diesen unbequemen Weg zu gehen? Eben der Entrepreneur, der bereit ist, diesen Preis zu zahlen, ein paar Opfer einzugehen, um die Befriedigung zu haben, etwas vollbracht zu haben. Wie erkennt man den Entrepreneur? Das ist für mich eine ganz wichtige Frage. Ich kann und will meine Projekte nicht alleine umsetzen, im Team macht es mehr Spass und man hat viel mehr Möglichkeiten. Ein wichtiges Kriterium bei der Zusammenstellung des Team ist die sportliche Betätigung. Ausdauersport soll es sein, idealerweise Rennradfahren. Denn der Rennradfahrer ist ein Entrepreneur.
Die Parallelen
Um ein Projekt erfolgreich zum Ziel zu bringen, ist eine gute Planung entscheidend. Planung und Organisation. Ohne gute Planung verliert man sich, ohne Organisation ist man ineffizient. Genau so wie bei einer Rennradtour. Wo fahre ich lang, welche Kleider packe ich ein, wie komme ich zum Startort, wo liegt das Ziel, welche Hindernisse gilt es zu meistern. Nichts spiegelt die Umsetzung eines StartUps so gut wieder, wie eine strenge Alpentour.
Egal, wie gut man geplant hat. Ins Ziel bringen dich nur deine Beine und dein Kopf. Und beides wird auf der Alpentour auf eine harte Probe gestellt. Wer kein grosses Durchhaltevermögen hat, Strategien, sich zu motivieren und auch mal selbst zu belügen um über unangenehme Situationen hinwegzukommen, positiv eingestellt ist zu dem Unterfangen, und einfach länger und härter arbeitet, als es einem lieb ist, der wird das Ziel nicht erreichen. Wer es erreicht hat, lernt das berauschende Gefühl kennen, es geschafft zu haben.
Egal, wie gut man geplant hat, wie hart man trainiert hat, wie minutiös man sich vorbereitet hat: es gibt gute und schlechte Tage, es gibt schönes und mieses Wetter und es gibt Tage, da spielt dir der Körper einen Streich. Das kann vor der Tour passieren oder mitten am Berg oder im Flachstück dazwischen. Und alles Jammern bringt nichts. Durch die Schwächephase muss man durch, sich durchleiden, auf die Zähne beissen und nicht beim Anzeichen eines Unwohlseins im Bett bleiben und sich krank melden. Das lernt man auf keiner Schule, aber auf der Alpentour hat man keine Wahl. Man muss ins Ziel kommen.
Kein StartUp hat zu viel Geld. Der Erfolg lässt immer auf sich warten. Wäre es so einfach, hätte es sonst schon jemand gemacht. Also muss man bescheiden sein. Um mit den vorhandenen Mitteln länger durchzuhalten als die andern. So wie auf der Alpentour. Gute Planung bedeutet auch, nicht 2 Liter extra mitzuschleppen die man am Ziel wegleert. Kein Trikot hat genug Taschen, um so viel mitzunehmen, dass alle Eventualitäten abgedeckt sind. Und die Eventualität trifft garantiert ein: zu heiss, zu kalt, kein Brunnen in Sicht, die lang ersehnte Kneipe am Pass hat unerwartet geschlossen. Nun muss man mit dem durchkommen, was man hat, mit den Kräften und den paar restlichen Schluck Wasser im Bidon haushalten.
Im Team schafft man längere Touren, kann sich gegenseitig aus einem Tief schwatzen, kann sich im Windschatten vom Vordermann etwas erholen, um diesem dann eine Pause zu gönnen, dem hungrigen Kollegen etwas aus seiner Trikottasche reichen. Das funktioniert aber nur, wenn man gewisse Regeln einhält, sich kameradschaftlich verhält und ein richtig gutes Team wird man nur, wenn man bereit ist, sein Ego zurückzunehmen, im Dreckswetter auf der langen Abfahrt vom Alpenpass das langsamere Tempo des Kollegen anzunehmen um ihn nicht alleine zu lassen, obwohl die heisse Dusche im Hotel wartet. So ein Team, das bringt Höchstleistungen, auf und neben dem Rad.
Das Fazit
Wie so oft in meinen Beiträgen, versuche ich zum Schluss, den Bogen zu schliessen, auch wenn ich mich unterwegs gerne etwas verirre. Der typische Rennradfahrer, oder vielleicht noch spezifischer, der typische Rennrad Pässefahrer, ist für mich kein normaler 08:15 Arbeitnehmer. Jemand, der am Morgen einstempelt und das Ende seiner Schicht herbeisehnt. Die Alpentour ist ein Unternehmen, und um dieses Unternehmen auf die Erfolgsspur zu bringen, braucht es einen Entrepreneur. Und ein Entrepreneur – oder noch besser, mehrere Entrepreneure zusammen – hat die besten Voraussetzungen, um mit seiner carrière seine Vorstellungen eines erfüllten Berufslebens zu verwirklichen.
Hallo Lukas,
sehr schöner Beitrag. Ich muss zugeben, ich finde mich an sehr vielen Stellen deiner Zeilen wieder. In anderen sind wir unterschiedlich, was auch wunderbar passt. Aber gerade was die Planung und die Willensstärke betrifft, beschreibst du es sehr gut.
Und wie du schreibst, wenn alle in einem Team zusammenhelfen, an einem Strang ziehen, dann ist das vielleicht kurzfristig für den Einen oder Anderen etwas Mehraufwand, aber auf lange Sicht bekommt man seinen Einsatz meist mehrfach wieder zurück.
Ich freue mich schon jetzt auf die nächsten gemeinsamen Projekte mit dir.
Liebe Grüße aus Salzburg
Xandi
„es gibt Tage, da spielt dir der Körper einen Streich“
Tja, lieber Lukas und schon kam mir in Erinnerung, wie ich im letzten Jahr am Stelvio dramatisch eingebrochen bin. Schon in Trafoi wusste ich, dass es an diesem Tag kein guter Tag für mich werden sollte und die elend lange Traverse bis zur Franzenshöhe kam mir an diesem Tag unendlich vor. Eine lange Pause an der Franzenshöhe mit Nahrungsaufnahme und der zufälligen Bekanntschaft mit einem Leidensgenossen liess den Plan, den schweren Rest des Stelvios gemeinsam zu bezwingen, entstehen. Obwohl meine Zufallsbekanntschaft noch schwerer gegen den Berg ankam, als ich, hätte ich den auf keinen Fall zurückgelassen. In jeder der noch verbleibenden Kehren wurde so lange gewartet, bis die Kräfte bei uns beiden wieder für die nächste Traverse ausreichend erschienen. Ein Mitglied meiner Gruppe kam mir entgegen (zu allem Überfluss hatte mein Telefon die Zusammenarbeit mit dem örtlichen Netz verweigert) und erkundigte sich nach meinem Befinden. Erst nachdem ich ihm glaubhaft versichern konnte, den Rest der Strecke sicher zu schaffen, fuhr der zum Ziel in Sta. Maria voraus.
Mit meinem namenlosen Leidensgenossen habe ich dann noch die Passhöhe erreicht. Der hat sich oben angekommen bei mir für die gemeinsame Strecke sehr bedankt und mir versichert, es ohne mich keinesfalls geschafft zu haben. Er hätte ohne meine Begleitung zwischen Franzenshöhe und Passhöhe aufgegeben, denn Sein Tagesziel lag nicht jenseits des Passes, sondern auf dem selben Weg zurück in Prad.
So hatte mein wirklich schlechter Tag letzten Endes noch was Gutes, nämlich die Erkenntnis, allein über Willenskraft und mit Unterstützung eines (sogar fremden) Partners Kräfte freizusetzen, die man in diesem Moment kaum noch für möglich hält und das gute Gefühl, trotz eigener Schwäche jemandem bei der Erreichung seines Ziels eine wichtige Hilfe gewesen zu sein.
So ein Weg ist eine (harte) Schule und die Lehren, die der, der diesen Weg beschritten hat daraus ziehen kann, sind in jedem Fall auch im Berufsleben von Bedeutung und oft anwendbar. Insofern besteht ein folgerichtiger Zusammenhang zwischen den herausragenden Charaktereigenschaften eines ausdauernden Radfahrers und eines erfolgreichen Unternehmers.
Gruß
Andreas
Hallo Andreas
vielen Dank für die Schilderung der schönen und auch sehr typischen Anekdote. Wie wir sie doch ab und zu mal wieder erleben und trotz des Leidens auch wissen, etwas Unvergessliches erlebt zu haben.
Ich denke vieles hängt mit unserer Komfortgesellschaft zusammen. Beim Pässefahren – aber sicher auch bei vielen anderen vergleichbaren Outdoor-Aktivitäten – verlassen wir diese Komfortzone und dadurch kommen Kräfte aber auch Tugenden zum Vorschein, die sonst im bequemen und Sicherheits-fanatischen Alltag ein Schattendasein fristen.
Lieber Gruss, Lukas
Ciao Lukas,
sehr schön geschrieben!
Ich staune auch immer wieder über unsere Gesellschaft. Da gibt es je länger je mehr Möglichkeiten, sich aktiv zu betätigen, doch viele begnügen sich damit, passiv als Konsument zu agieren. Und meistens ist die konsumierte Ware von bescheidener Qualität – Fernsehen, Facebook und co lassen grüssen.
Dabei hat man am Ende doch viel mehr davon, wenn man etwas selbst auf die Beine stellt. So verstehe ich zum Beispiel auch die Sudoku Löser nicht. Es gäbe viel abwechslungsreichere Varianten, sein Gehirn zu trainieren, als immer wieder dieselbe Art Rätsel zu lösen. Das ist für mich der Inbegriff von Killing Time.
Wir leben in der interessantesten Zeit, die es je gab. Mit dem Internet ist jedem mit ein paar Mausklicks eine gigantische Fülle an Information zugänglich. Da könnte man sich also bei Zeitüberfluss in ein Interessensgebiet einlesen. Nur so als Beispiel. Langeweile in unserer Zeit sollte eigentlich ausgerottet sein.
Gruss aus den Pyrenäen
Reto
ps: bei uns auch kein Fernseher im Haus…
Hallo Reto,
das stimmt nicht, ich war ja schon bei euch in der Wohnung.
Ihr habt den grössten Flatscreen den ich je gesehen habe, der hat zwar nur einen Sender, aber der ist gut: Alpenpanorama TV ;-)
:-)
achja, stimmt, 11.1m x 2.5m ist schon eine Ansage…
Hallo Lukas
Das hast Du sehr präzise geschrieben besonder der Satz bei miesem Wetter auf den Schwächsten
warten passt genau zu mir und Frederik , war so froh ,dass er so viel Geduld hatte mit mir.
Ich wünsche Euch viel Erfolg, Glück, Kraft und Unfallfreie schöne Radtouren . Toi ,toi, toi.
Freue mich schon jetzt auf Nizza. Alles Gute und bis Bald
Viele liebe Radgrüssli An Euch und bliebt so wie Ihr seit.
Hallo Claudia,
danke für die Wünsche, das gebe ich gerne an Frederik weiter. Freue mich auf den Saisonauftakt an der Côte d’Azur!
Lieber Gruss und schönes Wochenende
Lukas