Die Freuden der Langsamkeit
Ist es schlimm, wenn man bei seinem Hobby nicht zu den Besten gehört? Muss ich mich schlecht fühlen, weil ich nicht so schnell radfahren kann wie viele andere? Sind deshalb Minderwertigkeitskomplexe angesagt? Ich bin der Überzeugung, dass all dem nicht so ist.
Ich bin nicht schlecht, nur nicht so flott
Klar, ich bin nicht der schnellste Radfahrer, an die flotten Zeiten vieler meiner Freunde komme ich nicht im Geringsten heran und bei den diversen Radmarathons bin ich immer unter den ersten zehn, wenn man die Ergebnislisten umdreht. Gut, der letzte Punkt war wohl etwas übertrieben, aber ich bin natürlich immer im hintersten Teil des Feldes zu finden.
Aber macht mir das etwas aus? Bin ich deshalb jetzt minderwertig? Nein, ganz sicher nicht. Ich habe nicht so viel Zeit zum Trainieren wie andere Leute, ich habe auch nicht zwingend die Selbstdisziplin, die nötig wäre, um jede freie Minute auf dem Rad zu verbringen und ich genieße auch sehr gerne das Leben und dessen Annehmlichkeiten, was man dann auch durchaus an meiner Figur ablesen kann.
Radsport für mich selbst
Aber ich betreibe den Radsport nicht deshalb, um mit meinen Leistungen zu prahlen, um jemandem zu zeigen, wie toll ich bin oder um um mich im Wettkampf mit Anderen zu beweisen. Nein, ich fahre Rad, weil es mir unglaublich viel Spaß macht. Ich kann dabei einerseits wunderbar abschalten, mich von meinem Arbeitsalltag ablenken, und andererseits schöpfe ich aus dem Radsport Kraft. Auch wenn man nach einer ordentlichen Tour ziemlich müde und abgespannt ist, der ganze Stress, der Druck, die Anspannung und auch die Aggressionen, die der Alltag so mit sich bringen, all das ist wie in Luft aufgelöst. Ob ich dafür jetzt einen 22er oder einen 28er Schnitt fahre, ist doch völlig egal. Und ob ich mich gerade im optimalen Pulsbereich befinde, der mit den idealen Trainingserfolg garantiert, ist mir ehrlich gesagt, auch ziemlich einerlei. Ich kann dabei die Natur genießen. Meine Sinne sind geschärft und ich nehme mich und meine Umgebung sehr viel besser wahr.
Gemütliches am Glockner
Als Beispiel darf hier meine erste Glocknerbezwingung herhalten. Aufgewachsen in Bruck an der Großglocknerstraße hatte ich jahrelang nichts mit dem aktiven Radsport am Hut. Ich war sozusagen nur Passivsportler, die Tour im Fernsehen war interessant, aber auch selbst fahren? Nein.
Bis ich dann aufgrund meiner großen Klappe dazu gezwungen war, innerhalb eines Jahres die Glocknerstraße zu bewältigen. Ich hatte mich darauf für meine Verhältnisse gewissenhaft vorbereitet. Andere hätten sicherlich mehr getan, aber für mich war es in Ordnung. Ich war zwar voll motiviert, hatte aber bewusst Pausen eingeplant. Nicht an fixen Punkten, aber nach Laune.
Da ich damals um knapp vor fünf Uhr früh gestartet war, hatte ich die ganze Straße für mich alleine, bis auf 1600 Meter hinauf war ich völlig allein, konnte den Sonnenaufgang in aller Einsamkeit beobachten. Ein traumhaftes Schauspiel war das Spiel des Nebels, der sich langsam, einen Meter um den anderen, hinaufschraubte. Dieses Schauspiel zu beobachten war mir nur deshalb vergönnt, weil ich mir eben die Zeit genommen hatte, alles zu genießen. Dass ich dadurch dann einige Minuten länger gebraucht hatte? Geschenkt, völlig egal. Bei meinem Tempo wars sowieso schon unerheblich. Denn ob ich jetzt richtig lang oder noch ein bisschen länger brauchte, macht kaum einen Unterschied. Für mich zählt aber das Erlebnis mehr.
Auch im letzten Jahr, als ich die unbekannte Seite des Glockners befahren durfte – der Glockner scheint wohl wirklich so etwas wie mein Schicksalsberg zu sein. Von Kals am Großglockner in Osttirol aus waren wir zum Luckner Haus unterwegs. Mir war der Anstieg zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt. Von der Aussicht her war die Auffahrt selbst nicht sonderlich berauschend, meist führte die Straße durch den Wald. Aber nachdem ich schon den gesamten Anstieg erklommen hatte, war nur noch eine kurze Rampe zu bewältigen, eine Rechtskurve.
Nachdem ich diese Rechtskurve bewältigt hatte, tat sich vor mir ein Talkessel auf, dessen Anblick mir vollends den Atem raubte. Ich rollte ganz langsam, ohne eine Kurbelumdrehung ein paar Meter abwärts zum Parkplatz des Luckner Hauses, ich konnte meine Augen nicht mehr vom Anblick des Talkessels lassen. Über dem Kessel trohnte seine Majestät, der Großglockner. Mir stockte der Atem, was für eine Schönheit sich mir hier zeigte. Ich war überwältigt, unsere Natur bot sich mir von ihrer allerschönsten Seite dar. Dazu kamen die Endorphine, der Anstieg war geschafft, mein Tagesziel war erreicht. Für solche Momente sitze ich auf dem Rad, so etwas möchte ich wieder und wieder erleben.
Deshalb mühe ich mich ab, plage mich auf Pässe hinauf, gehe an meine Grenzen.
Es geht nicht um Geschwindigkeit, erreichte Höhenmeter, schneller zu sein als ein Sportsfreund, nein, es geht darum, mit sich selbst ins Reine zu kommen, seine Gefühle und Gedanken zu ordnen. Und dafür werde ich manchmal mit diesen Momenten belohnt, mit diesen Anblicken entschädigt. Trotz aller Mühen und Anstrengungen ist es das auf jeden Fall wert. Für solche Momente muss man nicht völlig austrainiert sein, die Geschwindigkeit ist absolut irrelevant. Es zählt einzig und allein das Erlebnis, der Moment.
Radmarathons von hinten aus
Aber auch für seine Ziele kann man kämpfen, beispielsweise das Beenden eines Radmarathons. Hier geht es nicht darum, ob man fünf Minuten flotter ist oder nicht, nein, hier geht es einzig und allein um den Kampf gegen sich selbst. Es ist aber auch wunderschön, wenn man diesen Kampf mit anderen Kollegen teilen kann.
Ich kann mich noch an einige Rennen erinnern, wo ich gemeinsam mit einer Gruppe von Leidensgenossen den ganzen Weg gegangen bin. Hier wird nicht gegeneinander gefahren, hier geht es dann nicht mehr darum, wer vor wem platziert ist. Nein, hier versuchen alle, gemeinsam das Ziel zu erreichen. Im Grupetto ist ein Zusammenhalt zu erkennen, den ich sonst nie kennengelernt habe. Wildfremde Menschen sind einander plötzlich ganz nahe, man hilft einander gegenseitig. Ich kann mich an Radmarathons erinnern, wo öfters die Gefahr bestanden hatte, dass einer von uns die Gruppe nicht halten kann. Was taten wir anderen? Nein, es war nicht unser Ziel, den Kollegen abzuhängen, ihm den Triumph des Finishens zu missgönnen. Nein, dieser Kollege oder diese Kollegin (wobei, am Schluss sind wir Männer dann immer unter uns, Frauen beenden das Rennen fast immer vor mir) wird nicht allein gelassen, wir versuchen, diesen Sportsfreund aus dem Wind zu halten, versorgen ihn mit Essen, wenn er einen Hungerast hat, reden ihm gut zu und erfreuen uns an unserer gemeinsamen Leistung.
Diese Schicksalsgemeinschaft hält zwar meist nur ein Rennen lang, aber man fühlt sich immer ein wenig verbunden. Ein klein wenig Rennradromantik ist hier auch noch geboten.
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