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Bergzeitfahren mit dem Rennrad – Tipps

Über die Jahre haben sich bei mir Bergzeitfahren als Trainingsform etabliert. Nachfolgend möchte ich ein paar Worte über meine Erfahrungen in dem Bereich verlieren. Die unten stehenden Ausführungen und Tipps sind damit zum Teil subjektiv und nicht etwa mit wissenschaftlichen Studien belegt. Trotzdem lassen sie sich einige Erkenntnisse wohl auf den einen oder anderen übertragen.

Bergzeitfahren – Warum

Die Frage ist berechtigt, warum sollte man mit dem Rennrad bei grosser Belastung Bergstrassen hochhetzen? Persönlich finde ich Berge bezwingen die lohnendste Art Rad zu fahren. Pässe sind eben häufig von imposanten Bergen umgeben. Das  Naturerlebnis ist damit viel intensiver als beispielsweise bei einer Durchquerung von Kansas. Andererseits ist ein Pass kein willkürliches Ziel wie etwa ein Zielort einer Flachetappe, das man auch hätte beliebig anders wählen können. Und die Genugtuung oben am Pass über die eigene Leistung lassen einen die Anstrengung vergessen.
Daneben lässt sich die eigene Form an den Bergen ausgezeichnet aufbauen. Als Trainingsform ist Berge fahren unheimlich effektiv. Das liegt unter anderem daran, dass man um eine gewisse Leistung nicht herum kommt. Fährt man flach, kann man das Tempo soweit herausnehmen, dass Luft- und Rollwiderstand sehr klein werden. Bei einem Berg kommt man aber nicht darum herum, sein Gewicht aus eigener Kraft um die Höhendifferenz nach oben zu verschieben.

Bergzeitfahren – Physik

Bei flachen Fahrten ist der Luftwiderstand die bestimmende Grösse, die es zu überwinden gilt. Anders verhält es sich dagegen bei Bergfahrten – hier bestimmt die Gravitation das Geschehen. Abgeleitet davon ergibt sich aus der Masse des Fahrers mitsamt Material, auch Systemgewicht genannt, wieviel Energie für jeden Höhenmeter aufgewendet werden muss. Bei einem Rollerberg mit drei bis fünf Prozent Steigung spielen beide Komponenten eine Rolle, spätestens ab sieben Prozent kann der Luftwiderstand aber fast vernachlässigt werden. Dem Luftwiderstand begegnet der Rennradler mit Leistung, gemessen in Watt. Grössere Fahrer bringen typischerweise auch höhere Wattwerte zustande, so dass bei Flachetappen eher dieser Fahrertyp dominiert. Man denke an Cancellara bei den Frühjahrsklassikern. Im Gegensatz dazu ist bei Bergfahrten die entscheidende Grösse Watt pro Kilogramm, da die zu erbringende Energie proportional zum Systemgewicht ist. Da das Gewicht kubisch mit der Fahrergrösse zunimmt (Volumen), aber die Kraft nur quadratisch (Muskelquerschnitt), ist dieses Watt/Kg Verhältnis bei grösseren Fahrern schlechter. So erstaunt es nicht, dass meist kleine, zierliche Fahrer in den Bergen die Nase vorne haben. Typ Bergfloh à la Pantani.

Bergzeitfahren – Als Training

Pragelpass - ideales Trainingsgelände

Pragelpass – ideales Trainingsgelände

Immer Vollgas den Berg hoch zu brettern würde aus mehreren Gründen keinen Sinn machen. Der Körper braucht Abwechslung, damit immer wieder andere Trainingsreize gesetzt werden. Zudem bedeutet ein Bergzeitfahren am Limit einen grossen Stress für den Körper, zu häufig ausgeführt und Verletzungen werden unvermeidbar. Man sollte die Längen wie auch die Intensitäten variieren. Aus eigener Erfahrung scheinen mir Belastungen zwischen 25 und 40 Minuten besonders effektiv zu sein. Das ist lange genug, um auf dem Rennrad richtig auf Touren zu kommen aber auch kurz genug, dass man sich dabei nicht komplett abschiesst. Und glücklicherweise sind Berge dieser Länge nicht allzu rar. Bei den Intensitäten stechen drei hervor: An der anaeroben Schwelle, Sweetspot (85 – 90% der anaeroben Schwelle) und voll am Limit. Am besten kontrolliert man diese Bereiche, indem man eine Wattmessung am Rennrad benutzt. Hat man also zum Beispiel seine Schwelle bei 270 Watt, so wäre Sweetspot etwa 235 Watt. Die Wattzahl am Limit hängt von der Belastungszeit ab. Bei einem Anstieg von 25 Minuten käme man auf etwa 105% der Schwelle, also im Beispiel grob 285 Watt. An einem Trainingstag kann man nun auf diverse Varianten solche Fahrten kombinieren. Drei denkbare Trainingstage. Tag 1: 4 mal 25 Minuten Sweetspot. Zu Beginn kein Problem, gegen Ende hin aber bitter. Tag 2: 1 mal Sweetspot für 25 Minuten, um auf Touren zu kommen. Dann 35 Minuten am Limit und am Ende nochmals 25 Minuten Sweetspot. Tag 3: 1 mal 40 Minuten und 1 mal 25 Minuten an der Schwelle. An allen diesen Trainingstagen sollte zwischen den Anstiegen immer mindestens 20 Minute Pause oder leichtes Pedalieren eingebaut werden. Und es täuscht nicht, diese Beispiele sind sehr anstrengend, am Folgetag dürfte man mit einem Ruhetag oder aktiver Erholungsrunde am besten bedient sein.

Bergzeitfahren – Tipps

Wintertraining vom Feinsten, Mergugno ab Brissago

Wintertraining vom Feinsten, Mergugno ab Brissago

Es gibt viele potentielle Stolpersteine, die einem gelungenen Bergzeitfahren im Wege stehen. Angefangen mit dem Material. Um Watt/Kg zu maximieren, kann man die Wattzahl erhöhen oder die Kilogramm verkleinern. Für reines Training müssen wir nicht das allerletzte Gramm weg optimieren, da wir ja nicht unbedingt an Bestzeiten interessiert sind, sondern am Formaufbau. Und dieser hängt ja direkt von der getretenen Wattzahl ab und nicht etwa davon, ob wir beispielsweise noch ein halbes Kilo an Kleider den Berg hochgeschleppt haben. Natürlich sind aber schnelle Zeiten motivierender, so gesehen sollte man schon eher leichtgewichtig an den Start gehen.
Aufwärmen nicht vergessen. Vor allem für Leistungen im Schwellentempo und darüber sollte man davor mindesten 15 Minuten aufwärmen, wobei gegen Ende der Aufwärmphase schon mal zwei Minuten im anvisierten Leistungsbereich absolviert werden sollen. Danach ist der Körper bereit für was noch kommt. In Sachen Ernährung lohnt es sich, etwa 30 Minuten vor der Belastung noch etwas Süsses, Schnellverdauliches zu konsumieren. Während des Anstiegs nützt essen kaum, da die Verdauung nicht schnell genug ist.
Die Wahl der optimalen Trittfrequenz ist ziemlich subjektiv. Dem Hochfrequenz-Hype kann ich nur bedingt zustimmen. Während für den einen Frequenz 100 optimal sein mag, erzielt ein anderer die besten Resultate bei Trittfrequenz 60. Je steiler der Berg, desto tiefer wird die Frequenz ausfallen. Als Mindestbedingung sollte man seine Kassette beziehungsweise Kurbelgarnitur am Rennrad so wählen, dass man abgesehen von kurzen Spitzensteigungen im eigenen optimalen Bereich fahren kann. Eine Kompaktkurbel empfiehlt sich auf jeden Fall.

Eine meiner Lieblingsbergstrecken, als Training oder auch sonst: Ober Urmi ab Gersau:

Download file: OberUrmi.gpx

Bergzeitfahren – Am Limit

Am besten sucht man sich ein offensichtliches, natürliches Ziel aus. Beispiele: Einen Berg erstmals mit hochgerechnet 1000 hm/h zu erklimmen. Oder eine Zeitbarriere zu unterbieten, z.B. den Hausberg in unter 30 Minuten hoch zu dübeln. Ebenso kann man sich vornehmen, bei Strava einen KOM/QOM abzuholen. Oder man nimmt an einem Bergzeitfahren des lokalen Radvereins teil. Entscheidend bei der Wahl des Ziels: Es muss motivierend sein.
Wenn man eine neue schnellste Zeit an einem Berg erreichen will, dann müssen noch ein paar weitere Dinge beachtet werden. Es ist wichtig, dass die getretene Leistung recht gleichmässig ist, da damit erfahrungsgemäss die besten Resultate erzielt werden können. Hier leistet die bereits erwähnte Wattmessung hervorragende Dienste. Ohne Wattmessung läuft man Gefahr, die ersten Minuten zu überziehen, da der Puls und die Atmung etwa ein bis zwei Minuten benötigen, um auf Touren zu kommen. So fühlt sich eine hart getretene Anfangsphase subjektiv viel leichter an, als sie es eigentlich ist. Die Retourkutsche folgt dann jeweils später. Zur gleichmässigen Leistung muss allerdings noch folgendes gesagt werden: Diese ist anzupeilen, sofern der Anstieg auch steigungsmässig gleichmässig ist. Bei variabler Steiung gilt dies nur noch bedingt. Bei variabler Steigung ist es vorteilhaft, bei steileren Passagen härter zu treten als bei flacheren. Der Grund liegt wieder mal in der Physik. Bei flächeren Passagen spielt der Luftwiderstand eine Rolle. Und da dieser überproportional mit steigender Geschwindigkeit zunimmt, handelt man sich hier unnötig viel Widerstand ein, wenn man die Leistung nicht etwas drosselt.
Ein Tipp zum Pacing, wenn man ohne Wattmessung auskommen muss: Die drei Drittel der Strecke sollten sich in etwa wie folgt anfühlen. Erstes Drittel: Anstrengend, aber man hat den Eindruck, man könnte doch eigentlich noch etwas zulegen. Zweites Drittel: Die Leistung kann gehalten werden aber jegliche Steigerungsabsichten sind verflogen. Drittes Drittel: Am Anschlag. Grosse Willensanstrengung ist von Nöten, um nicht nachzulassen.

Darf es etwas länger sein? Stelvio ab Prad

Darf es etwas länger sein? Stelvio ab Prad

Offensichtlich sollte man das Systemgewicht minimieren. Wenn man nicht gerade Chris Froome heisst, dann dürfte beim eigenen Körpergewicht noch das grösste Sparpotenzial vorhanden sein. Das Rennrad um ein bis zwei Kilogramm zu entschlacken kann sündhaft teuer werden. Entsprechend Körpermasse zu verlieren könnte beispielsweise einfach heissen, künftig auf Bier zu verzichten. Beim Material kann man sich bei jedem Einzelteil fragen, ob es das nun unbedingt braucht. Unterhalb von 30 Minuten lohnt es sich, die Trinkflaschen wegzulassen oder zumindest nicht zu füllen. Die Atmung ist jenseits der Schwelle so schwer, dass man sowieso fast nichts zu sich nehmen kann. Hauptsache man führt später dem Körper die jeweils verlorene Flüssigkeit wieder zu. Auch Handy, Kamera und Satteltasche sind überflüssig. Der Ersatzschlauch findet auch im Trikot Platz. Und natürlich sollte die Blase leer sein.
Know your enemy. Man sollte den Anstieg kennen und ihn in Abschnitte einteilen. So kann man die Strecke Abschnitt für Abschnitt bewältigen, was mental viel einfacher ist, als die Gesamtstrecke vor Augen zu haben. Und natürlich sind Details wie Vorhandensein von Schlaglöchern, steilere und flachere Passagen, enge Kurven etc. auch nützlich zu wissen. Es ist hilfreich, nach jedem Abschnitt die Zwischenzeit zu nehmen. So kriegt man bereits während der Fahrt eine objektive Rückmeldung, wie gut man im Rennen ist. Wenn es an einem Tag gar nicht läuft, kann man so schon früh abbrechen, wenn man sein Zeitziel sowieso nicht erreichen kann. Umgekehrt kriegt man an einem guten Tag die Bestätigung, dass es richtig rund läuft. Und dies kann noch ein paar zusätzliche Körner freisetzen.
Wenn man nicht an einer festen Veranstaltung teilnimmt, so hat man noch ein paar weitere Optimierungsmöglichkeiten. Man sollte die Tageszeit wählen, bei der man am leistungsfähigsten ist. Dies ist bei den meisten Menschen Nachmittag oder Abend. Frühmorgens dürften nur wenige Menschen ihr volles Potenzial ausschöpfen können. Die Witterungsbedingungen sollten auch in die Planung einfliessen. An einem windigen oder heissen Tag ist eine Höchstleistung auf dem Rennrad unwahrscheinlich. Optimal sind Temperaturen im Bereich zwischen zehn und maximal fünfzehn Grad.
Und wie kann man sich selbst motivieren, wenn es mal nicht so rund läuft? Mit dem Motto „Mach einfach noch so schnell, wie es halt noch geht“, habe ich gute Erfahrungen gemacht. Man trickst sich dabei selbst aus, denn diese Vorgabe lässt sich per Definition ja immer erfüllen. Und so gibt man weniger schnell auf.

Ein Beitrag von:
Reto Aschwanden
Schweizer Bergliebhaber - Sportler - Denker - Gourmet. Viele Jahre habe ich leistungsmässig Sportklettern betrieben. Das Rennradfahren hingegen ist erst mit 30 hinzugekommen, als verletzungsbedingt das Klettern eine Weile ausgefallen ist. Meinen aktuellen Wohnort Luzern habe ich wegen der Nähe zu den Alpen gewählt. Mit 182 cm bin ich eigentlich kein Bergfloh, fühle mich aber trotzdem am wohlsten bei 11% Steigung. Als Mathematiker bin ich seit vielen Jahren in der IT tätig und geniesse den Ausgleich, den mir der Sport bietet. Gerne bin ich kreativ tätig, sei es im Beruf, im Kunstschach, als Hobbykoch oder auch als Organisator von Rennradreisen.
4 Kommentare
  1. Axel sagte:

    Hallo Reto,

    ein herrlicher Beitrag. Wirklich klasse! Know your enemy!

    Aber ist man wirklich bei 10-15 Grad am leistungsfähigsten? Ist doch eher typabhängig, oder? Wenn ich mal gut drauf bin, ist es meistens bei jenseits der 25 Grad mit leicht erhöhter Luftfeuchtigkeit.

    Schöne Grüße

    Antworten
    • Reto sagte:

      Ciao Axel,

      merci!

      Wahrscheinlich schon typabhängig. Aber wenn man bedenkt, dass leider nur gerade 20-25% der tatsächlich vom Körper geleisteten Enerige auf der Strasse landet und die restlichen 75-80% nur Wärme sind, dann wird es halt schnell zu heiss. Wenn du also zb mit 300 Watt unterwegs bist, dann heizt dein Körper bereits mit etwa 1kW. Bei 10 Grad Aussentemparatur kriegst du diese Wärme halt viel leichter weg als bei 25 Grad. Und sobald der Körper sich nicht mehr genug kühlen kann, dann nimmt die Leistung automatisch ab.
      Kommt wohl auch auf die Länge des Anstiegs an. Die Überhitzung dürfte erst bei längeren Anstiegen wirklich ins Gewicht fallen.

      Gruss
      Reto

      Antworten
  2. Lothi sagte:

    Hallo Reto,

    guter Artikel. Bergfahren ist einer der schönsten Disziplinen im Radsport. Hier in den Walliser Bergen habe ich den Vorteil, dass ich für jeden Trainingsbereich genau die richtige Aufstiegslänge habe. Ich persönlich mag die 1h Variante sehr gerne. So lerne ich auch schön meine Kräfte ein zu teilen.

    Was ich noch festgestellt habe, dass man gerne bei kurzen Flachstücken (wie Kurven) mit dem treten aufhört. Da ist es wichtig die Spannung zu behalten und Frühzeit zu schalten um das Tempo zu erhöhen, um dies dann wieder mitzunehmen.

    Gruss Lothi

    Antworten
  3. Werner Beha sagte:

    Hallo Reto,
    danke für Deinen schönen Beitrag. Deine Ausführungen haben mir sehr geholfen und auch bestätigt. Ich fahre seit Jahren Bergrennen.
    Seit Jahren nehme ich u.a. am Stilfser Joch Amateurrennen teil.
    Es ist einfach traumhaft die Berge mit dem Velo zu bezwingen im Gegensatz zu einem Kriterium wo ein Kilometer Rundkurs 50 oder 60 mal absolviert werden muss. Schade, dass es bei uns im Schwarzwald nur noch wenige Bergrennen gibt.

    Gruß Werner

    Antworten

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