Tessin – Zuflucht für Rennradfahrer im Winter
Das Tessin, mit 300 Sonnentagen im Jahr klimatisch verwöhnt, wird von den Touristenmassen vor allem zwischen Ostern und Mitte Oktober heimgesucht. Spätestens nach den Herbstferien ist allerdings plötzlich nichts mehr los. Kalte Betten wo man hinschaut. Eigentlich erstaunlich, denn gerade im Winter offenbahren sich die Reize des Tessins meines Erachtens am meisten.
Während die Nordschweiz zu der Zeit häufig bei Minusgraden unter einer Hochnebeldecke leidet, können im Tessin gut und gerne 15 Grad bei stahlblauem Himmel angesagt sein. Aufpassen muss man lediglich bei starkem Nordföhn, der angenehm klingende Temperaturen ziemlich arktisch anfühlen lassen kann. Zudem gehen beim Nordföhn häufig starke Windböen einher, die einen Rennradler durchaus zu Fall bringen können, was dem Schreibenden letztes Jahr einiges an Tapete gekostet hat.
Seit ein paar Tagen ist das Tessin wegen der Eröffnung des neuen NEAT Tunnels verkehrstechnisch besser angebunden, womit beispielsweise Locarno ab Zürich nur gerade 2:20h entfernt ist. Für Leute wie mich, die mit der Rolle herzlich wenig anzufangen wissen und sich lieber in der Natur einen abfrieren als drinnen mit Zwift zu schwitzen, sind die Voraussetzungen für einen Besuch des Südens damit noch besser geworden.
A propos Zwift. Meine Einstellung dazu lässt sich gut mit einer Phrase aus einem Fanta 4 Song beschreiben: „Bin immer noch Fan vom richtigen Leben“. Zwift und co sind einfach nur die halbe Miete.
Nun gut, was gibt es im Tessin im Winter denn für Möglichkeiten? Für Rennradler ist die Gegend rund um Locarno quasi perfekt. Sie ist begünstigt durch ein mildes Mikroklima, das dem Lago Maggiore geschuldet ist. Zudem dringt der kalte Nordföhn nur selten bis hierher vor, und wenn doch, dann meistens ziemlich abgeschwächt. Rund um Locarno befinden sich diverse wunderschöne Bergstrassen, die meist südlich ausgerichtet sind und sogar in der Regel geräumt werden, sollte es doch mal schneien. Bis gut 1000 Höhenmeter kann man so auch im Winter am Stück fahren, wenn man will (Monti di Ronco ab Seehöhe).
Auch Grundlagenmeilen können hier gesammelt werden. Bespielsweise lässt sich der Lago Maggiore umrunden, was mit gut 160 flachen Kilometern zu Buche schlägt. Nachfolgend ein paar Tourenvorschläge im Detail.
Tour 1: Rund um den Lago Maggiore – Der Klassiker
Damit man bei der Tour in den Genuss möglichst vieler Sonnenstrahlen kommt, sollte die Umrundung ab Locarno unbedingt im Gegenuhrzeigersinn erfolgen. Die Tifosi zeigen auf dieser Runde im Sommer gerne, was sie draufhaben. Man ist also als Rennradler nicht alleine. In der kalten Jahreszeit geht es allerdings wesentlich ruhiger zu und her, zum Glück auch was den motorisierten Verkehr angeht. Wem die Runde zu lange ist, der kann sie um 70 km abkürzen, und zwar mittels der Fähre von Intra nach Laveno. A propos: Der Grossteil des Lago Maggiore befindet sich auf italienischem Boden, was wir hier gerne vernachlässigen.
Tour 2: Einsame und abwechslungsreiche Alpe di Neggia
Ist der Winter noch in seinen Anfängen oder bereits wieder am Ausklingen, sollte man sich diesen Klassiker nicht entgehen lassen. Die Nordseite präsentiert sich nahezu konstant sportlich steil, ganz anders hingegen die Südseite, die eher wellig und lieblich daherkommt. Da ein Postauto über diesen Pass fährt, wird die Strasse stets geräumt. Trotzdem dürfte die Nordseite nach einer kalten Periode längere Zeit mit dem Rad heikel sein. Nicht verpassen sollte man den sehr lohnende Abstecher über den Passo Forcora auf der Südseite. Wem eine einzelne Passüberquerung zu wenig ist, der kann nach einem Kaffeestop am See in Maccagno natürlich für die Rückreise nochmals den Pass wählen.
Tour 3: Bergstrassen im Tessin, am Beispiel Brissago
Es gibt im Tessin diverse lohnende Bergstrassen, die in der Regel nahezu verkehrsfrei zu irgendeinem verschlafenen Nest führen. Als Liebhaber solcher Strassen bin ich häufig in der Nähe von Brissago unterwegs, denn da stehen gleich drei solche Sackgassen zur Auswahl. Alle knackig steil, so dass sie sich eher für Tempohärte als für Grundlagenausdauer eignen. Dies stört mich jedoch nicht im Geringsten.
Als letztes noch einen kulinarischen Tipp: Beim Bahnhof in Locarno befindet sich eine qualitativ hochwertige Konditorei namens Al Porto, der man nach geglückter Tour ein paar geschmackvolle Kalorien abkaufen kann. Weitere Standorte befinden sich in Ascona und Lugano.
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