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Winterflucht ins Centovalli

Das Tessin im Winter

Im Tessin scheint immer die Sonne. Das glauben viele, ist aber definitiv falsch. Richtig ist jedoch, dass dort immer wieder einmal die Sonne scheint, während nördlich des San Bernadino Nebel, Kälte und Regen die Stimmung trüben.

Wohl dem, der in solchen Zeiten einen kurzen Weg hinüber ins Tessin hat und spontan das Rennrad ins Auto oder in den Zug lädt und das Gruselwetter gegen strahlenden Sonnenschein tauscht. Nun… ich gehöre zu den Glücklichen. Mit dem Auto sind es etwa 3 Stunden bis Locarno, mit dem Zug aktuell noch etwas mehr. Mal sehen, was demnächst der neue Gotthard-Tunnel an neuen Möglichkeiten im Zugfahrplan bringt.

rennrad-tour-centovalli-tessin-001Meine letzte Nebelflucht ist eigentlich schon viel zu lange her. Sie führte mich spontan nach Locarno. Es war gerade Februar geworden und der Bodensee lag unter einer dichten Nebeldecke, welche zur Abwechslung immer wieder einen feuchten Nieselregen über den Thurgau versprühte. Das Wochenende versprach keine Besserung und so entschloss ich mich das Rennrad ins Auto zu packen und schleunigst auf die Alpensüdseite zu fahren. Dort war für das Wochenende strahlend blauer Himmel vorhergesagt.

Ich hatte leider nur einen Tag zur Verfügung und so plante ich die „kleine“ Runde durch das Centovalli, hinauf zum Piano di Sale (Auch oft als Passo Marco Pantani bezeichnet) zu fahren. Von dort dann hinunter nach Cannobio und am See entlang zurück nach Locarno. Keine grosse Runde. Knappe 70 Kilometer mit ziemlich genau 1000 Höhenmetern.

rennrad-tour-centovalli-tessin-005Das Centovalli, übersetzt 100 Täler, ist ein tief eingeschnittenes Tal, welches die Schweiz und Italien verbindet. Der Fluss, welchem man auf seinem Weg folgt ist die Melezza. Erreicht man Italien, heisst das Tal Valle Vigezzo und der Fluss Melezzo Occidentale. Biegt man nicht wie ich hinauf zum Piono di Sale ab, so führt der Weg nach Domodossola (IT). Dies, von Locarno bis Domodossola, ist auch die komplette Strecke der Centovallibahn deren ca. 51 Kilometer lange Strecke und Brücken man im Verlauf der Tour immer wieder sieht und bestaunen kann.

Download file: Centovalli.gpx

Die Fahrt durch das Centovalli

rennrad-tour-centovalli-tessin-002Locarno ist nicht gross, so dass man die Stadt schnell verlassen hat. Zu Beginn ist der Verkehr noch spürbar. Nach Ponte Brolla, wo auch die Strasse in das Magratal abzweigt, wird es zunehmend ruhiger. Bereits in Verscio, wo das berühmte Dimitri Theater beheimatet ist, nimmt die Auto-Dichte deutlich ab. Nach Cavigliano folgt die Abnahme der Häuserdichte und hinter Intragna hat die Natur den Platz rechts und links der Strasse erobert und nur vereinzelt durchfährt man kleine Dörfer.

Hier musste ich einen ersten unfreiwilligen Stop einlegen. Carbonsattelstützen waren für mich etwas Neues und beim Einbau nach dem Transport im Auto hatte ich trotz Drehmomentschlüssel dann wohl doch etwas zaghaft durchgeführt. Irgendwie fühlte sich das Fahren zuhnehmend ungewohnt an. Ich konnte es aber auch nicht recht zuordnen. Erst als ich das Gefühl hatte auf einem Kinderrad zu sitzen und meine Knie immer mehr nach aussen schwenkten, dämmerte es mir, dass sich wohl die Sattelstütze zunehmend ins Sattelrohr verabschiedete. Also das Minitool raus und das Ganze mit hoffentlich genug Gefühl anstatt des nicht vorhandenen Drehmomentschlüssels neu ausgerichtet und stärker angezogen. Es hielt und auch die Sattelstütze nahm keinen Schaden. Also wieder auf das Rad und weiter bergauf.

Die Strasse ist nie steil, so dass man zügig voran kommt. Im Februar hatte ich etwas Bedenken wegen Eis auf der Strasse. Das gab es. Einige Rinnsale erzeugten kurze Eisstellen. Aber alle waren so schmal, dass sie keine Gefahr bargen. Hinter Camedo gelangt man an den kleinen Grenzübergang. Hier verlassen wir das Centovalli und fahren nun durch das Valle Vigezzo. Auch in Italien führt die Strasse weiter abgeschieden durch das schöne Tal. Wie bereits in der Schweiz kommen wir immer wieder an Abzweigungen zu Seitentälern vorbei. Wer Sackgassen mag, kann die Höhenmeter hier endlos verlängern. Jedoch anders als der Name Centovalli zu sagen scheint, sind es insgesamt deutlich weniger als 100 Seitentäler. Aber es sind definitiv sehr viele.

rennrad-tour-centovalli-tessin-003Ein paar Kurven hinter dem Ortsschild von Re traut man dann plötzlich seinen Augen nicht. Imposant und eindrücklich rückt die gewaltige Kuppel der Wallfahrtskirche Santuario Della Madonna Del Sangue in das Blickfeld. Was für ein Anblick. Bedingt durch die Kirche ist Re ein beliebtes Ausflugsziel, so dass auch im Winter einige Bars und Restaurants geöffnet haben. Ein willkommener Pausenort.

Von Re ist der nächste grössere Ort, Malesco, schnell erreicht. Hier verlässt die Tour das Valle Vigezzo und die kurze aber etwas steilere Auffahrt zum Piano del Sale beginnt. Oben am Pass findet man einen Stein mit der Aufschrift „Passo Marco Pantani“.

rennrad-tour-centovalli-tessin-004Die Abfahrt war im Februar ebenfalls recht unproblematisch zu fahren. Ich liess zwar die nötige Vorsicht walten, stiess jedoch nie auf vereiste Stellen. Es war jedoch kalt… die Abfahrt führt viel durch schattige Gebiete und die Temperatur lag um den Gefrierpunkt. In der Sonne angenehm warm, im Schatten doch noch sehr frisch.

Je tiefer ich kam, umso wärmer wurde es. Die Finger tauten langsam wieder auf. Unten, am Lago Maggiore angelangt, konnte die Windjacke bereits wieder in der Trikottasche verschwinden. Es folgte ein Cappuccino und danach eine sonnige, gemütliche und warme Fahrt entlang des Sees zurück zum Ausgangspunkt. Der Verkehr nahm hier wieder deutlich zu, nachdem er vom Beginn des Centovalli bis zum Ende der Abfahrt hinunter vom Piano del Sale quasi inexistent war. So erreichte ich nach knapp 70 Kilometern Fahrt wieder Locarno. Keine grosse Runde aber für den Winter, mit zwei gemütlichen Kaffeestops war mir das gerade recht.

rennrad-tour-centovalli-tessin-006An der Seepromenade ass ich noch eine der völlig überteuerten Pizzen (Welche jedoch wenigstens gut war) und genoss den Ausblick auf den See, weisse Berge im Hintergrund, stahlblauer Himmel und fröhliche Menschen wohin ich sah. Alles kein Vergleich zur Nebelsuppe am Bodensee, wo die Lust darauf, das Haus zu verlassen oder gar auf das Rennrad zu steigen, weit weg erschien.

Alles in allem also die richtige Entscheidung hierher aufgebrochen zu sein. Eigentlich sollte ich so etwas viel öfter machen.

Vielleicht mache ich es aber einfach oft nicht, weil ich es ja machen könnte. So fällt es mir nämlich deutlich leichter es nicht zu machen als wenn ich es gar nicht möglich wäre es zu tun… alles klar?

Ein Beitrag von:
Lutz Goldbecker
Schweizer Deutscher der auch sehr gerne in Italien oder Frankreich Rennrad fährt.
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