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Analog von Bergamo nach Bern – Tag 1

Vor genau einem Jahr regte sich in mir das erste Mal das Bedürfnis nach einer Abenteuerreise. In loser Folge werde ich hier Tagesberichte meiner fünftägigen Reise von Bergamo nach Bern, ohne jegliche elektronischen Hilfsmittel, berichten. Der Reisebericht ist eher von emotionalem Inhalt als das man viel über die Route, Strassen und Höhenprofile erfährt.
Die Bilder stammen vorwiegend von der Bergamasker Alpenreise von Lukas, da ich ja keine Elektrogadgets dabei hatte.

Ausgangslage

Startort Bergamo

Startort Bergamo

Seit vielen Jahren schon fahre ich gerne Rennrad, mal mehr, mal weniger. Immer schön am Hinterrad von Lukas, immer völlig ohne Ahnung wo es langgeht, denn da ist immer alles bis ins kleinste Detail geplant. Das ist so selbstverständlich, dass schon mal eine Schnute gezogen wird wenns nicht optimal klappt. Ganz schön verwöhnt und von Tuten und Blasen keine Ahnung. Geographie? Technik? Kein Plan. Mich interessieren weder Garmins, noch lockt man mich mit einem extravaganten Rad aus der Reserve.
Aber ich hatte Lust mich in ein Abenteuer zu stürzen..
Da Lukas im Juli seine erste Bergamasker Alpenreise in Bergamo startete und wir vorher unsere obligaten paar Tage in den Sommerferien Rennradfahren zwecks Rekognoszieren von Garmisch-Florenz geplant hatten, bot es sich für mich quasi an, die Heimreise von Bergamo mit dem Rad anzutreten.

Planung und Hauptprobe

Scheu erwähnte ich mein Vorhaben, von Bergamo nach Bern zu fahren, bei Lukas und zu meinem grossen Erstaunen fand er es weder unmöglich noch lächerlich. Er liess sich auch nicht erschrecken, dass ich mit nur einem Schlafsack ausgerüstet die Nächte im Freien verbringen wollte und sowieso alles aufs Minimum reduziert anzugehen gedachte.
Es gefällt mir wie weit man aus eigener Kraft kommt, wie viel man aushaltet kann und wie wenig man dazu braucht. Ich wusste, dass ich es körperlich mit ein wenig Vorbereitung schon schaffen würde. Was mir mehr Sorgen bereitete war der ganze Rest. Finde ich den Weg? Kann ich alleine im Wald und im Freien übernachten ohne Angst? Wie mache ich es mit der Hygiene? Etc..
Ich musste es ausprobieren.

Probeübernachtung Simplonpass

Probeübernachtung Simplonpass

Als die ersten wärmeren Frühlingstage sich meldeten, beschloss ich, mich mit unserem Hund Alba (um vorerst nicht ganz so einsam zu sein) auf eine Übungstour zu begeben. Wir starteten in Brig um über den Simplonpass nach Gondo zu wandern. Die Übernachtung war auf der Passhöhe geplant, da ich auf der Abenteuerreise auch auf den Pässen zu übernachten gedachte, weil ich dort auf Einsamkeit hoffte um nicht unerwünschte Gesellschaft zu bekommen.
Trotz nächtlichem Gewitter ging alles glatt, abgesehen dass es Alba nicht wirklich toll fand. Dies war also geklärt, draussen schlafen und Katzenwäsche kein Problem.
Von da an rutschte mir mein Vorhaben ab und zu in einem Gespräch raus und da wusste ich, jetzt gab es kein Zurück mehr.
Fürs Gepäck bestellte mir Lukas einen Gepäckträger für die Sattelstütze und ich musste nur noch lernen, wie man einen Platten flickt. Und ja genau, eine Route planen! Bei unserer gemeinsamen sonntäglichen Joggingrunde entlockte ich Lukas die groben „Eckdaten“, und mit etwas Schulatlas von Olga und der Strassenkarte aus dem Auto stellte ich auf einem Notizzettel meine Reiseroute zusammen.

Morgen geht es los

Am Abend vor meiner Reise kamen wir in Bergamo an. Mulmig war mir zumute und das rennrad-reise-bergamo-3noble Hotel stand in krassem Gegensatz zu meinen bevorstehenden Übernachtungen. Vor dem Schlafen eine letzte Gepäckkontrolle. Die nicht endenwollende Hitzeperiode machte vieles leichter. Keine Überschuhe oder Regenjacke, dafür ein Trikot zum Wechseln, sowie ein Merinolangarmtrikot für kalte Passenächte, Zahnbürste, etc. Meine bescheidene Wahl an Mitgeführtem erwies sich als 100% richtig. Einzig Tolstoi`s Anna Karenina lasse ich das nächste Mal zu Hause.

Tag 1: Bergamo – Aprica

rennrad-reise-bergamo-2Nach dem ausgiebigem Frühstück im Hotel ging es los. Ich vermisste Lukas und die Mädels schon jetzt, eigentlich schon die ganze Woche bevor ich überhaupt gestartet bin. Ich fragte mich, warum tust du das? Musst du jemandem etwas beweisen? Egal, ich habs mir gewünscht und jetzt geht es los!
Lukas begleitete mich noch eine Stunde raus aus Bergamo. Der Abschied war irgendwie lustig und geschmeidig. „Also, machs gut“, „Pass auf dich auf“, „Du auch“, „Ja ich ruf dich an wenn ich zu Hause angekommen bin in 5 Tagen“.. „Ciao..“
Genau, ich besitze kein Mobiltelefon, ich würde also auf mich selbst gestellt sein. Die wissen nichts von mir und ich weiss nichts von denen, ein spezielles Gefühl…
Nachdem ich 5 Minuten unterwegs war kam eine grössere Kreuzung und da wusste ich schon das erste Mal nicht mehr wo es langgeht. Es war Samstagmorgen und es waren massig Rennradler unterwegs. Ich schnappte mir den Erstbesten und fragte, wo es zum San Marco gehe. Er gab mir zu verstehen, dass ich mich anhängen sollte und dann gings zackig zur Sache. Das Tal hoch herrschte ein Monsterstau und der flinke Junge lotste mich rasant in italienischer Manier links und rechts and den sich stauenden Autos vorbei. Da kam ich schon recht an meine Grenzen mit dem ganzen Gepäck.rennrad-reise-bergamo-san-marco-3
Es war irgendwie aber auch sehr lustig weil ich dachte, kaum hast du dich von deinem Mann verabschiedet – der dich immer durch die Gegend schleift – hängst du schon dem nächsten am Hinterrad. Kaum gedacht holperte es und der erste Platten war da! Mist, hilflos sah ich zu, wie mein Zugpferd mich stehen liess und ich musste den ersten Ernstplatten in meinem Leben beheben. Anfangs hoffte ich noch, dass sich einer der 1000 vorüberfahrenden Ciclisti mir erbarmen würde, merkte aber bald, dass ich mit meinem komischen Mobil nicht wirklich attraktiv genug war, um sich schwarze Finger zu holen. Doch ich habs geschaft, etwas knapp Luft, aber durchaus wieder fahrbar. Weiter gings über den wunderschönen San Marco, wo alle sehr nett zu mir waren. Complimenti! Ja danke, gleichfalls.
Unten in Morbegno angekommen gabs erstmal ein wohlverdientes Panino, welches ich aber nicht so sehr wie erhofft geniessen konnte, weil sich ein etwa 80 jähriger Casanova sehr aufdringlich zu mir gesellte und meinen Vesper bezahlen wollte. Die nette Kellnerin rettete mich jedoch erfolgreich vor ihm. Schade, zu wenig hübsch, dass einem der Reifen geflickt wird und zu wenig hässlich, dass man in Ruhe sein Panino essen kann…
rennrad-reise-bergamo-san-marco-2Gestärkt gings weiter Richtung Sondrio. Brütende Hitze, und eine nicht wirklich tolle Route. Mein Tagesziel war, in Sondrio etwas Verpflegung einzukaufen und dann einige Kilometer talaufwärts die Via da Vai zu erwischen um dem stark befahrenen Sondriotal zu entkommen. Mittlerweile war es schon nach 18:00 Uhr, als ich die schöne und immer einsamer werdende Via da Vai raufkurbelte. Langsam musste ich mich nach einer geeigneten Stelle zum Übernachten umschauen. Zuhause habe ich auf der Karte gesehen, dass, kurz bevor das Strässchen wieder in die grosse Apricastrasse einmündet, aus einem Seitental ein Fluss kommen muss. Doch die Strasse zog sich hin und ich war mittlerweile doch etwas angeschlagen und torkelte wohl etwas die Strasse hoch, als sich von hinten ein Rennradfahrer in sportivem Tempo näherte. „Hai acqua?“ fragte er mich in besorgtem Ton. “Sì, certo“ sagte ich und dachte verschmitzt bei mir: „Ich hab sogar Wein!“ Der kleine Alki in mir hatte nämlich in Sondrio vorgesorgt und nebst Käse, Brot und Gebäck noch eine kleine Flasche Wein fürs Abendessen besorgt.
Nach weiteren, eher zähen Kilometern hörte ich endlich den Fluss und sah die vermutete Strasse, die in ein wildes Tal hoch abzweigte. In der Hoffnung, bald ein geeignetes Plätzchen zum Schlafen beim Fluss zu finden, ging ich die Strasse hoch. An Fahren war nicht zu denken, da es echt steil und geschottert war. Bald darauf wurde es etwas ebener und nicht weit von der Stasse erspähte ich einen grossen Stein direkt am Fluss.
Als sich ein Auto mit zwei recht wild wirkenden Typen darin näherte fand ich das schon nicht so toll, beruhigte mich jedoch damit dass die wohl noch nach ihren Tieren sehen gehen. Laut Wegweiser führte die Strasse nämlich zu einer Alp. Mittlerweile war es dämmerig und ich musste mich sputen, um alles zu erledigen. Körperpflege, Trikotwäsche, Abendessen, Nachtlager aufschlagen und Wein trinken. Es gefiel mir gar nicht, als ich plötzlich schon wieder ein Auto hörte, zudem sah ich es sehr gut, was wiederum bedeutete, dass man mich auch sehr gut sah. In der Hoffnung, dass es bald einnachten würde, versteckte ich das Rad doch noch etwas tiefer im Gebüsch und kroch in den Schlafsack. Plötzlich hörte ich das Rumpeln eines Quads … es bog ein zum Fluss … in meine Richtung … zwei Typen … Herzstillstand.
In einer Sekunde war ich raus aus dem Schlafsack, nahm Tolstoi in rennrad-reise-bergamo-san-marcodie Hand und versuchte gelassen dreinzuschauen. Gottseidank, die hintere Gestalt war eine Frau. Entwarnung. Das junge Hippiepärchen grüsste mich freundlich und fragte, ob ich hier übernachte. Fast entschuldigend bejahte ich. Sie seien auch noch auf der Suche nach einem Schlafplatz, liessen sie mich wissen, und dass sie es noch ein Stück weiter oben versuchen würden. Ciao und gute Nacht. Erleichtert legte ich mich schlafen. Doch bald darauf kam ein Auto nach dem anderen. Sowas Blödes, woher kommen denn all diese Leute und was ist hier eigentlich los, fragte ich mich? Kurz darauf stand wieder der junge Hippie da und sagte mir, dass sie weiter oben einen Platz gefunden hätten und ich solle doch auch kommen. Sie hätten Feuer und es kämen noch ein paar Freunde und ich würde hier sicher frieren und mich fürchten. Fast gerührt lehnte ich die Einladung zur Party ab und hatte endlich auch keine Angst mehr. Jetzt konnte ich schlafen.

Weiter zur Beschreibung von Tag 2

Tag 1:

Download file: Bergamo-Bangerten-Tag1.gpx

 

Gesamte Strecke:

Download file: Bergamo-Bangerten.gpx

Ein Beitrag von:
Barbara Mohr
Ich bevorzuge epische Abenteuerreisen ohne Zeitdruck, am liebsten vom Sonnauf- bis zum Untergang. Sonst stehe ich am liebsten in der Küche. Bin immer auf der Suche nach traditionellen Rezepten, vorzugsweise aus Italien. Rennradfahrer am Tisch sind mir eine Freude, die bringen wenigstens ordentlichen Appetit mit. Ich fertige auch grössere Gruppen auf den Rennradreisen ab, ohne dass jemand hungrig zu Bett gehen muss.
6 Kommentare
  1. Elke und Thomas sagte:

    Das Warten hat sich gelohnt! Wir sind schon gespannt auf die Fortsetzungen. Schöne Grüße und schöne Ostern!

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    • Lukas sagte:

      Wow, ihr seid schnell! Jetzt wollte ich euch gerade schreiben dass etwas Osterlektüre online ist!

      Euch ein schönes Feiertagswochenende

      Antworten
  2. Tobias sagte:

    Ein super Bericht, freue mich schon auf die Fortsetzungen. Dieser Bericht gibt gute Gründe, es mal ohne die elektronischen Helfer zu versuchen. Und auch die anderen Blogs sind sehr interessant und lesen sich sehr schön. Weiter so!

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