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Reifenwechsel am Rennrad

Eine Anleitung zum Reifenwechsel

oder warum „der mit den Eisenhänden“ ganz normale Hände mit ganz normalen Kräften besitzt.

Das Thema Reifenwechsel am Rennrad ist trivial und doch erlebe ich in meiner Funktion als Guide und auch bei der Lektüre einschlägiger Foren immer wieder, wie unsicher sich doch der eine oder andere Rennradfahrer gibt, wenn dem Rennrad Reifen mal wieder die Luft ausgegangen ist. Man könnte nun einwenden, im WWW…  fänden sich genügend Anleitungen und Beispiele in Text-, Bild- und Videoformat, so dass es dieses Textes keinesfalls mehr bedürfe. Ich sehe das jedoch differenzierter. Neben vollkommen unzureichenden, wirklich schlecht gemachten Videotutorials findet man zum Reifenwechsel hochprofessionelle Videoproduktionen direkt von den Reifenherstellern, deren Kompetenz in Sachen Montage hier nicht angezweifelt wird. Doch allein schon die bei den Herstellermontageanleitungen beinahe klinisch reinen Werkstatt- und Materialbedingungen verhindern einen kritischen Blick auf die den in der Pampa gestrandeten Radfahrer umgebenden Realbedingungen.

Verschiedene Felgensysteme

rennrad-reifen-wechseln-platten-panne-022Zunächst möchte ich meine Ausführungen dem verbreitetsten Felge-/Reifensystem widmen. Die allermeisten Rennräder rollen zurzeit auf Hakenfelgen, die eine Drahtreifendecke mit lose eingelegtem Schlauch tragen. Die auf Rennrädern in der Mehrzahl aller Fälle vorzufindenden Faltreifen sind aus technischer Sicht nur eine Abwandlung der Drahtreifen, deren Drahtringe durch eine mir unbekannt hohe Anzahl hochfester Fäden (oft Kevlar) ersetzt wurden und der Reifendecke damit die Eigenschaft der Faltbarkeit geben. Sowohl Reifen, als auch Felgen genießen kleine Fertigungstoleranzen, die auch darüber mitentscheiden, ob sich eine bestimmte Reifen/Felgenkombination leicht oder nur „mit Gewalt“ montieren lässt. rennrad-reifen-wechseln-platten-panne-020Neben den Fertigungstoleranzen kann das Querschnittsprofil der Felge selbst einen erheblichen Einfluss auf die Montierbarkeit von Reifendecken haben. Eine Felge mit tiefem Bett bietet dem Monteur mehr Raum für die Montage als eine Felge mit flachem Felgenbett.

Kommt es nun auf der Tour zu dem ungeliebten Plattfuß, dessen ungeahnter Eintritt hoffentlich ohne Sturz überstanden wurde, haben wir die erfreuliche Situation, dass wir es mit keiner neuen, sondern einer bereits montierten und gefahrenen Reifendecke zu tun haben. Der allein fahrende Rennradler hat in dieser Situation idealerweise einen Ersatzschlauch, eine Pumpe und Reifenheber zur Hand. um den Reifenwechsel vorzunehmen.

rennrad-reifen-wechseln-platten-panne-001Hat der Plattfußteufel am Vorderrad zugeschlagen, sind die Chancen auf saubere Finger nach der Reparatur deutlich höher, als bei  demselben Ereignis am Hinterrad. Daher betrachte ich hier mal die Vorgehensweise am Hinterrad, die mit einem Schaltvorgang der Kette auf eins der kleineren Ritzel beginnt. Das kleinste Ritzel muss es nicht unbedingt sein, aber wenn zufällig die Kette im Moment des Ereignisses auf dem größten Ritzel lag, stehen Schaltwerk und Kette einem Radaus- und Einbau nur unnötig im Wege.  Die Umstellung der Bremse auf die „offene“ Stellung ist ein weiterer wichtiger Handgriff, der die spätere Radmontage im Rahmen erleichtert. Ist der Radfahrer allein und keine Querstange oder Astgabel verfügbar, an der das Rad mit dem Sattel aufgehangen werden könnte, bleibt nur noch die Möglichkeit, das Rad kopfüber auf Sattel und Lenker zu stellen. Vorher sollten die Trinkflaschen und eventuell der Tacho entfernt werden. rennrad-reifen-wechseln-platten-panne-002Ein senkrechtes Abstellen des Rades in Normallage kommt nicht in Frage, weil so die Gefahr, das Rad auf empfindlichen Teilen des hinteren Schaltwerks abzustützen zu groß ist. Erst jetzt ist der Moment gekommen, den Schnellspanner zu lösen und das Rad aus den Ausfallenden zu nehmen. Wenn bis hierher alles gut gegangen ist, hält der vom Plattfußteufel  erwischte Rennradler nun das drucklose Hinterrad in der Hand und der Rest vom Rennrad steht oder hängt sicher gegen umfallen.

Den Reifen von der Felge nehmen

rennrad-reifen-wechseln-platten-panne-003Mit Montierhebeln, Pumpe und Ersatzschlauch bewaffnet kann der Rennradler sich nun an die Reparatur machen. In den meisten Fällen ist der kurz ohne Luftdruck bis zum Stillstand gefahrene Reifen schon vom Felgenhorn in das tiefer liegende Felgenbett gerutscht. Und genau an dieser Stelle kommen wir nun zur Auflösung, warum der Autor sich den nicht wirklich passenden Beinamen „der mit den Eisenhänden“ erworben hat. Für die Demontage des Reifens ist tatsächlich nur in den seltensten Fällen der Einsatz von Reifenhebern erforderlich, wenn man dabei ein paar Grundregeln beachtet. Die drucklose Reifendecke wird zunächst beidseitig rundum vom Felgenhorn weg in die Mitte des Felgenbettes gedrückt. Spätestens jetzt muss auch eine eventuell vorhandene Befestigungsmutter am Ventil entfernt werden. rennrad-reifen-wechseln-platten-panne-004Unter den oft günstigen Voraussetzungen besteht nun die Gelegenheit den Reifen samt Schlauch ohne Werkzeug einfach mit der Hand von der Felge zu ziehen. Dazu stellt man das Rad mit dem Ritzelpaket zum Monteur in einer Position die das Ventil etwa auf ein bis zwei Uhr stellt und greift den Reifen mit beiden Händen zwischen Daumen und Zeige-/Mittelfinger bei zwölf Uhr. Nun drückt man den durch die Lage im tiefen Felgenbett recht lose liegenden Reifen mitsamt Schlauch einfach mit den Daumen über das dem Ritzelpaket gegenüberliegende Felgenhorn von der Felge. Danach arbeitet man sich gegen den Uhrzeigersinn bis zum Ventil vor und nimmt final den Reifen samt Schlauch auf der dem Ritzelpaket gegenüber liegenden Seite von der Felge.

Voila, „der mit den Eisenhänden“ hat wiedermal mit bloßen Händen einen Reifen von der Felge gerissen!

rennrad-reifen-wechseln-platten-panne-005Falls es ohne Zuhilfenahme von Reifenhebern wegen ungünstiger Felgen- und Reifentoleranzen oder zarten Fahrer(innen)händen nicht gelingt, kann zum Reifenwechsel die im Felgenbett liegende Reifendecke mitsamt Schlauch auch mit Reifenhebern über die dem Ritzelpaket abgewandten Seite demontiert werden. Auch hier ist eine Lagerung der Reifenflanke im Felgenbett von Vorteil und beginnt man im Abstand von 30° – 60° vom Ventil und arbeitet sich über den längeren Weg um die Felge zum Ventil vor.

Die Pannenursache finden

rennrad-reifen-wechseln-platten-panne-006Vor jedem Reparaturversuch muss eine Fehlersuche stattfinden. Zunächst widmet der reparierende Radfahrer sich der Felge und dem darin in den meisten Fällen vorzufindenden Felgenband. Das Band sollte in gutem Zustand sein und keine Speichenbohrungen freigeben. Eine freiliegende Speichenbohrung könnte schon der Grund für den Druckverlust sein. Eine möglicherweise dabei entdeckte Delle im Felgenhorn könnte ein Hinweis auf einen „Snakebite“ im Schlauch sein. Der defekte Schlauch liegt währenddessen noch immer in seiner ursprünglichen Position im Reifen. rennrad-reifen-wechseln-platten-panne-007Falls man einen Fehler am Felgenband oder eine Delle im Felgenhorn gefunden hat, kann nun die schadhafte Stelle am Schlauch anhand der Ventilposition gefunden werden. Waren Felgenband und -horn unauffällig, untersucht der Radfahrer nun den Reifen mitsamt darin liegendem Schlauch von außen auf Fremdkörper. Unabhängig davon, ob ein Fremdkörper gefunden wurde, kann nun nachdem die Ventilposition am Reifen gemerkt oder markiert wurde, der Schlauch aus dem Reifen genommen werden. Wenn bis jetzt kein Grund für den Druckverlust gefunden wurde pumpt man den Schlauch soweit auf, bis man das Geräusch der ausströmenden Luft wahrnehmen kann. Findet man nun ein Loch an der Außenseite des Schlauches kann anhand der Ventilposition nochmals an der Reifendecke nach einem Fremdkörper (manchmal genügt ein winziger Glassplitter oder ein sehr kurzes Stück Stahldraht) gesucht und dieser entfernt werden.

Reifenmontage

rennrad-reifen-wechseln-platten-panne-011 Nach der erfolgreichen Fehlersuche kann nun die Montage beginnen. Die von allen Fremdkörpern befreite Reifendecke legt man von der dem Ritzelpaket abgewandten Seite mit einer Seitenwand über das Felgenhorn. Der neue Schlauch kann nun soweit aufgepumpt bis er eine runde Form hält, mit dem Ventil in das Ventilloch und in die Reifendecke eingelegt werden. Mit Hilfe der noch offen liegenden Reifenflanke drückt man den Schlauch nun rundum über das Felgenhorn bis der Schlauch in der Felge und nicht mehr daneben liegt. Sollte das nicht gelingen hat der Schlauch bereits zu viel Luft und es muss etwas Luft abgelassen werden. rennrad-reifen-wechseln-platten-panne-013Das Rad stellt man nun mit dem Ritzelpaket zum Monteur und dem Ventil auf sechs Uhr auf die Füße des Monteurs und beginnt nun von oben mit beiden Daumen die noch frei liegende Reifenflanke zum Ventil hin über das Felgenhorn zu drücken. Normalerweise kommt man  sehr leicht so weit, bis sich etwa 20 – 40 cm verbleibende Reifenflanke in der Nähe des Ventils vermeintlich nur noch mit Hilfe von Werkzeug über das Felgenhorn heben lassen.  Nun kann zum Einen etwas Luft aus dem Schlauch abgelassen und zum Anderen das Ventil in den Reifen zurückgedrückt werden.  Nochmals drückt man nun die Reifenflanke rundum in das Felgenbett und drückt zum Schluss mit beiden Daumen das letzte Stück neben dem Ventil über das Felgenhorn. Bei bereits gebrauchten Reifendecken sollte das problemlos gelingen. Bei einer neuen Reifendecke kann hier der Einsatz eines Reifenhebers notwendig werden.

rennrad-reifen-wechseln-platten-panne-014Ein wenig Druck auf dem Reifen braucht es nun, den korrekten Sitz von Reifen und Schlauch auf der Felge zu kontrollieren. Der Reifen muss rundum gleichmäßig am Felgenhorn anliegen und das Ventil rechtwinklig zur Felge durch die Ventilbohrung stehen. Ein ungleichmäßiger Reifensitz könnte ein Hinweis auf einen am Felgenhorn eingeklemmten Schlauch sein und ein schief stehendes Ventil zeugt von einem einseitig gespannten Schlauch im Reifen. Beides muss unbedingt korrigiert werden. rennrad-reifen-wechseln-platten-panne-008Das war die Pflicht, die „Kür“ wäre nun, wenn auch noch die Reifenbeschriftung passgenau zu der Felgenbeschriftung liegen würde.  Ist der korrekte Reifensitz gegeben, kann jetzt der Reifen auf Betriebsdruck aufgepumpt und das Rad im Rahmen montiert werden. Die offene Bremse und das günstig stehende Schaltwerk erleichtern dem Radfahrer nun die Montage. Falls das Schaltwerk nicht vollkommen mit Ölschmiere verdreckt und einigermaßen sauber ist, kann es nun noch gelingen, die komplette Reparatur ohne Ölschmiere an den Händen durchzuführen. Zum guten Schluss muss die Bremse noch in Betriebsstellung gebracht werden.

Wie immer ist es so, dass nur mit Übung so eine Prozedur reibungs- und fehlerlos gelingen kann. Daher möchte ich dem interessierten Leser empfehlen, einen Reifenwechsel unter günstigen Voraussetzungen zuhause so lange einzuüben, bis die Handgriffe und deren Ablauf wie selbstverständlich von der Hand gehen. Ziel sollte es sein, eine Reparatur sicher zu beherrschen und in weniger Zeit durchzuführen als zum Lesen dieses Textes benötigt wird.

rennrad-reifen-wechseln-platten-panne-009Alle Fotos sind von: DolceRita
 

Ein Beitrag von:
Andreas Schmidt
Andreas ist einer unserer vielseitigen Gastblogger. Genauso intensiv wie er seine Blog-Artikel recherchiert, ebenso sorgfältig ist er bei jeglichen Radreparaturen, die er im Rahmen der Radreisen pannengeplagten Teilnehmerrädern selbstverständlich zukommen lässt. Herausfordernd wird es für ihn eigentlich erst, wenn ein technischer Defekt auf einer Rennradtour als nicht reparabel aussieht. Mit seinem technischen Know-How rund um das Fahrrad, seiner Regionenkompetenz und seinem rheinischen Humor wird er unseren Blog definitiv bereichern.
4 Kommentare
  1. Lukas sagte:

    Hallo Andreas

    danke für den super Beitrag! Sehr präzis und dennoch unterhaltsam geschrieben. Das mit den Eisenhänden muss ich unbedingt üben, ich glaube damit kann man als Guide auf einer Reise mächtig Eindruck schinden.

    Mehr davon! Auf zum besten deutschsprachigen Rennrad Blog …

    Lieber Gruss, Lukas

    Antworten
  2. Barbara Mohr sagte:

    Lieber Andreas,
    dank Deiner Anleitung ist es mir eben gelungen einen Platten zu flicken, ohne zum 1000sten Mal Lukas zu fragen! Danke, dieser Beitrag trägt wesentlich zur Emanzipation der Rennradfahrerin bei…
    Lieber Gruss
    P.s Ein Detail ist zwar, dass immer ich ohne Ersatzschlauch reise, und darum erst Lukas beten musste mir einen zukommen zu lassen:-)

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  3. Daumendrücker sagte:

    Ein kleiner Hinweis noch, auch wenn das im Text angedeutet wurde:
    Wenn Schlauch und Reifen montiert sind, den Schlauch so weit aufpumpen, dass man den Reifen mit den Daumen noch so weit von der Felgenflanke wegdrücken kann, dass man sieht, ob der Schlauch wirklich im Reifen liegt und nicht unter ihm eingeklemmt ist. Jetzt drückt man rundrum erst an der einen Seite, dann an der anderen Seite in 5 bis 10cm Abständen den Reifen mit den Daumen nach innen und kontrolliert so den korrekten Sitz des Schlauches. Dann erst vollständig aufpumpen.
    Das dauert keine 2 Minuten und man ist so sicher, dass der Schlauch nicht eingezwickt ist und man nach einigen km mit einem Knall -hoffentlich noch stehen- die Arbeit von vorne beginnen kann.

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