| von | | 0 Kommentare

Strassenverkehr und andere Ärgernisse

Ich bin manchmal nicht sicher ob ich mich mehr auf der Strasse, also während der Ausübung einer meiner Rollen als Verkehrsteilnehmer,  ärgere oder mehr beim Lesen verschiedenster Themen zum Miteinander von Fussgängern, Radfahrern und Autofahrern. Was ist eigentlich so schwer daran, stressfrei und aggressionsarm die Strassen miteinander zu teilen? Wieso hacken Autofahrer-Journalisten hirnlos über Radfahrer her und wieso schieben Radmissionare alle Schuld an Konflikten den Autofahrern zu? Ist die Verkehrs-Welt tatsächlich nur Schwarz-Weiss?

Ich werde mir sicher nicht anmassen, die Antwort auf diese Fragen zu kennen. Und wenn ich sie dennoch hätte, käme ich nicht in die Versuchung zu glauben, dass sie in absehbarer Zeit in unserer Gesellschaft umsetzbar wäre. Dazu bin ich einfach zu sehr in der Realität verhaftet und träume zu wenig. Auch werde ich nicht mit wissenschaftlichen Studien argumentieren sondern einfach nur meine Gedanken auf den Bildschirm bringen.

Die Krux mit den Rollen

Ich merke es ja auch ab und zu an mir selber. Bin ich zu Fuss unterwegs, so bin ich Fussgänger und solidarisiere mich mit (fast) allen Fussgängern dieser Welt. Ich ärgere mich über Radfahrer und Autos die am Fussgängerüberweg nicht halten und die meiner Meinung nach eh alle viel zu schnell fahren. Steige ich ins Auto, so vollführe ich eine prompte Verwandlung. Mich nervt jeder Radfahrer wegen dem ich auf der Landstrasse vom Gas gehen muss oder sogar auf die Bremse zu treten gezwungen werde. MUSS der HIER fahren? Es gibt im Umkreis genug andere Strassen auf denen der fahren kann! Am Fussgängerüberweg überlege ich ob es tatsächlich sinnvoll ist anzuhalten. Der kann doch noch kurz warten bis ich vorbei bin. Kostet nur unnötig Sprit und Zeit… in der Regel halte ich dann trotzdem an.

Es scheint in der Natur des Menschen zu liegen, dass er sein Denken auf das fokussiert, was er gerade macht. Man hat ein Ziel und nichts soll einen daran hindern, dieses ohne grossen Aufwand und Hindernisse zu erreichen. Irgendwie scheinen wir hierbei zu vergessen, dass wir uns dabei oft über Dinge aufregen, welche wir zu anderer Zeit selber genau so machen.

Ist es sinnvoll sich an Regeln zu halten, die sinnlos erscheinen?

Würde man mir die Frage stellen, so käme ein spontanes Jein. Einerseits ist es natürlich völliger Quatsch mitten in der Nacht an einer leeren Kreuzung an einer roten Ampel anzuhalten. Alle Strassen sind frei einsehbar, ich bin der einzige Verkehrsteilnehmer und stehe hier eine Minute untätig rum, nur weil ein kleines Lichtlein die falsche Farbe hat. Loszufahren wäre hier sicher eine logische – und abgesehen von der Gesetzgebung – richtige Entscheidung. Warum gibt es eigentlich diese Gesetze? Als mündiger Bürger ist man ja wohl in der Lage eine Situation einzuordnen und richtig zu entscheiden! Sollte man denken.

Schaue ich mich jedoch im Strassenverkehr um, so gerät dieser Gedanke schnell von einer „man ist in der Lage“ Einschätzung zu einer „wohl nicht alle sind in der Lage“ Einschätzung. Erst kürzlich stand ich mit der Vespa an einer roten Ampel, ein ganzer Strom von Fussgängern überquert bei grün die Strasse vor mir. Rechts an mir schoss ein Rennradfahrer vorbei, bremste scharf vor dem Kinderwagen, schnitt den älteren Herrn und schaffte es tatsächlich ohne Feindberührung durch die Menschenmenge zu kommen. Der Erfolg gab ihm sicher Recht und das Fluchen der Fussgänger über die asozialen Radfahrer hat er eh nicht mehr gehört. Und wenn… dann konnten damit ja nur die anderen gemeint sein. Er selber hat sein Rad ja prima im Griff, niemand wurde verletzt, kein Grund sich aufzuregen.

Solche Beispiele erlebe ich täglich. Nicht nur von Radfahrern! Viele Autofahrer halten den Sicherheitsabstand nicht ein. Warum abwarten… passt doch.

Fakt ist. Uns Menschen gelingt es nur sehr schwer unser eigenes Handeln, unsere Ziele dem der Allgemeinheit unter zu ordnen oder zumindest daran anzupassen. Wir versuchen in der Regel für unseren Vorteil die Grenzen soweit wie möglich auszunutzen. Ob unser Handeln für andere nachteilig ist, spielt bei nicht Wenigen leider eine untergeordnete Rolle. Und so komme ich zurück zu den Regeln. Sie sollen wohl zumindest einige dieser Grenzen setzen, welche sich viele Leute nicht selber setzen können.

Auf diesem Hintergrund macht es wohl tatsächlich Sinn, Regeln und Gesetze grundsätzlich einzuhalten damit ein gesellschaftliches Miteinander funktioniert. Vielleicht macht es daher sogar Sinn, an einer roten Ampel, mitten in der Nacht, an einer leeren Kreuzung stehen zu bleiben. Auch wenn hier voraussichtlich bei Missachtung keine Mitmenschen beeinträchtigt werden.

Was könnte helfen?

Die bisherigen Gedanken bieten aus meiner Sicht Grundlagen für eine mögliche Antwort. Im Prinzip geht es bei den Differenzen im Strassenverkehr immer darum, dass eine Person (oder Gruppe) sich einen Vorteil auf Kosten einer oder mehrerer anderer Personen verschafft. Etwas weniger „Ich“ Denken täte unserer Gesellschaft (nicht nur im Strassenverkehr) meines Erachtens ganz gut. Was verliere ich eigentlich, wenn als Radfahrer kurz anhalte um einen Fussgänger über die Strasse zu lassen? Zeit (und der Schnitt könnte auch noch sinken!). Mehr eigentlich nicht. Was verliert ein Autofahrer, welcher an einer Engstelle hinter dem Radfahrer bleibt um diesen nicht zu gefährden? Zeit. Sonst auch eigentlich nichts.

Sehr oft geht es um Zeit. Haben wir davon zu wenig? Oder haben wir eher das Gefühl, davon zu wenig zu haben? Macht es tatsächlich ein besseres Gefühl, 10 Sekunden schneller anzukommen als einem Mitmenschen fair und anständig begegnet zu sein? Prägt Egoismus unsere Gesellschaft tatsächlich mehr als der Sozialgedanke?

Ich erwähnte es ja schon. Ich bin eher Realist. Von daher befürchte ich, dass die letzte Frage tendenziell mit einem Ja beantwortet werden kann. Leider.

Zurück zur Frage: „Was könnte helfen?“ Einen Perspektivenwechsel machen. Der Versuch Situationen nicht nur aus dem eigenen Blickwinkel zu betrachten sondern auch aus dem der anderen Akteure. Was bedeutet mein Verhalten für mich aber gleichzeitig auch für die anderen? Nimmt man die Erkenntnisse aus dieser Betrachtung ernst, so wird man voraussichtlich anders handeln, als aus der reinen Ich Betrachtung heraus (Vorausgesetzt man möchte den anderen Akteuren nicht sowieso schaden – wovon ich hier jedoch mal ausgehe). Irgendwo ist dieser, in der Logik recht einfache, in der Umsetzung jedoch recht schwierige Gedanke, verloren gegangen. Wer kennt ihn nicht aus Kinderzeiten, den Reim: „Was Du nicht willst, was man Dir tu, das füg auch keinem andren zu!“. So banal, so sinnvoll, und doch ist der dahinter stehende Wert von vielen anderen, oft sehr individuellen Werten, überlagert.

Warum ärgere ich mich überhaupt?

Ist sie das? Die Realität, die mehr Kampf, mehr Energie, mehr Frust bedeutet? Wir glauben halt, wenn wir uns mehr Vorteile verschaffen sind wir zufriedener? Sind wir das tatsächlich?

Ich glaube, diese Betrachtung ist dann doch etwas zu düster. Positiv bei alledem ist, dass ich dann doch die Mehrheit meiner Mitmenschen deutlich differenzierter erlebe. Sehr viele haben zwar Anteile davon, aber zusätzlich auch den Blick und die Rücksicht auf andere Personen.

Neun von zehn Autofahrern halten genug Abstand wenn sie mich überholen. Es gibt Autofahrer, die halten trotz Vorfahrt im Kreisverkehr und lassen mich oder meine Radgruppe vor (oft in Italien erlebt). Es gibt Radfahrer, die an roten Ampeln halten, wenn es nötig erscheint (OK. Das sind weniger als 9 von 10). Ich erlebe Fussgänger die am Rand des Radwegs gehen und nicht die ganze Breite versperren.

Hier kann der Fokus auf das was klappt, anstatt auf die Verfehlungen, sicher helfen, kein zu düsteres Bild unserer Gesellschaft zu malen.

Oft merke ich, egal ob im Auto, auf dem Gehweg oder dem Rad, dass mich andere Verkehrsteilnehmer nerven und ärgern. Ich warte förmlich darauf, dass jemand was falsch macht, nur um mich ärgern zu können. Eigentlich wenig sinnvoll. Eine gekonnte Strategie, sich die eigene Stimmung völlig zu vermiesen. Wenn mir diese Abwärtsspirale auffällt (klappt nicht immer), versuche ich gegen zu steuern und den Fokus auf andere Dinge zu legen (klappt immer öfter). Wenn wir ehrlich zu uns sind, müssen wir wohl zugeben, dass wir ja primär für unseren Ärger selber verantwortlich sind.

Der Andere ist evtl. ein Auslöser. Was ich daraus mache, ob und wie sehr ich mich ärgere, ist meine eigene Entscheidung (wenn auch nicht immer eine bewusste Entscheidung). Es gibt sicher (sehr gefährliche) Situationen, wo Wut und Ärger richtig und berechtigt sind. Aber würde ich Situationen mit Ärgerpotential analysieren, so käme sicher ein sehr geringer Prozentsatz an wirklich haarsträubenden Situationen dabei rum. Das meiste ist zwar blöd, aber eigentlich zu harmlos, um sich dadurch den Tag versauen zu lassen. Wie gesagt, es ist letztlich meine eigene Entscheidung, wie ich auf diese andere Situationen emotional reagiere.

Leben und Leben lassen

Mit diesem bekannten Sprichwort wollte ich ursprünglich den Artikel betiteln. Da ich mich für einen pragmatischeren Titel entschieden habe, bringe ich ihn halt hier noch ein. In meinen Augen passt der Spruch gut zur Intention, alles ein wenig gelassener zu sehen und gleichzeitig aber auch die nötige Rücksicht auf andere zu nehmen. Bündiger kann man es in meinen Augen kaum zusammenfassen.

Und nun?

Nun? Nun bleibt primär alles wie bisher. Ich versuche weiter die von mir angesprochenen Punkte so weit es geht selber umzusetzen. Mein Handeln AUCH auf Auswirkungen für mein Umfeld zu prüfen und entsprechend zu handeln. Manche Dinge nicht zu eng zu sehen und mich nicht über Banalitäten aufzuregen. Gar nicht immer so leicht. Je bewusster ich mir das jedoch mache, je präsenter wird es im Alltag und umso geübter klappt das auch. Allein dafür war es doch schon gut, die Gedanken auf den Bildschirm zu bringen.

 

Ein Beitrag von:
Lutz Goldbecker
Schweizer Deutscher der auch sehr gerne in Italien oder Frankreich Rennrad fährt.
0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert