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Mein Scheitern beim Ötztaler

Es war Februar 2015, da ließ ich mich zu einer womöglich relativ sinnfreien Aktion hinreißen. Ich war zwar immer überzeugt davon, dass ich den Ötzi, wie der Ötztaler Radmarathon liebevoll genannt wird, nicht fahren muss, um mich zu beweisen, aber in den Monaten davor hatte mich der Virus trotzdem gepackt.

Startplatz auf sicher

Getragen von den Erlebnissen meines Freundes Roli, der auf der klassischen Rundstrecke von Sölden aus über vier Alpenpässe im Jahre 2014 debütierte, konnte ich mich diesem Mythos nicht mehr entziehen. Also schritt ich zur Registrierung.
Ziemlich happig finde ich zwar die Registrierungsgebühr von € 5,90 (inkl. Servicegebühr für die Zahlungsabwicklung), aber was tut man nicht alles für seinen Traum, um im Narrativ dieses Klassikers im Jedermannradsport zu bleiben. Natürlich war es so, dass ich bei der ersten Startplatzverlosung nicht zum Zuge kam, aber da wurde mir Hilfe von anderer Seite zuteil. Ich hatte plötzlich die Zusage in der Tasche, einen Startplatz übernehmen zu können, sollte ich nicht im Rahmen der zweiten Ziehung ausgelost werden.
So kam es dann auch, ich bekam diesen Startplatz übertragen, das passierte zwar erst im Juli, aber mit der Zusage in der Hinterhand konnte ich ja bereits mit der Vorbereitung beginnen.

Die Vorbereitung

Ich muss zugeben, ich bin kein Typ, der sich besonders zielgerichtet auf einen Wettkampf vorbereitet und dabei sklavisch den Vorgaben eines Trainingsplanes folgt. Natürlich hatte ich mein Trainingspensum im Vergleich zu 2014 erhöht, wovon dann auch eine Jahreskilometerleistung für 2015 zeugt, die letztendlich 1000 Kilometer mehr aufwies als im Vorjahr. Aber ich fuhr meine Runden zum Spaß, weil ich Freude daran hatte und immer noch habe, die Landschaft zu erleben, meine selbst gesetzten Ziele zu erreichen und im Kampf gegen meinen inneren Schweinehund zu obsiegen.
Möglicherweise habe ich den Ötzi trotz Allem ein wenig unterschätzt, zumindest als Ziel. Dazu kam dann noch, dass 2015 das bisher wohl interessanteste Jahr meines Lebens war, weil einfach kein Stein auf dem anderen geblieben ist, privat wie beruflich. Manchmal war ich zugegebenermaßen ein wenig überfordert mit gewissen Situationen, und da war ich mit den Gedanken nicht immer bei meiner großen radsportlichen Aufgabe 2015. Das soll hier keineswegs eine Ausrede sein, denn alles in allem fühlte ich mich am Start wirklich bereit für das Abenteuer Ötzi.

Das Ötzi-Wochenende – Vorgeplänkel

Anreise nach Sölden am Freitag, denn wenn man nicht drei Tage dort nächtigt, wird’s schwierig mit einem Bett. So gesehen ist der Ötztaler einfach eine äußerst gut geölte Tourismusmaschinerie. Ende August wäre dort tourismusmäßig nicht mehr viel los, und so kann man mit einer großen Veranstaltung die Saison nochmals verlängern. Durchaus legitim, wie ich meine.
In Sölden war schon alles auf den Ötzi hingetrimmt, das Ortsbild bestand mehr oder weniger nur noch aus Radfahrern und dem ganzen Drumherum. Ein ziemliches Gewusel, wenn ich mir das so erlauben darf. Zuhause hatte ich noch ein Interview gegeben, weil ich einer der Protagonisten der offiziellen Ötzi-Doku werden sollte. Am Abend hatte ich mich schon mit den Startunterlagen versorgt, damit ich das ja nicht mehr vergessen kann. Am Samstag wurde ich dann Stück für Stück immer nervöser, denn der Blick auf die Strecke ließ dann doch ein wenig Ehrfurcht in mir aufkommen. Die Sicherheit, dass ich es schaffen würde, wandelte sich zur Hoffnung. Viele Freunde und Bekannte, die ich in Sölden traf, redeten mir aber gut zu, sodass ich eigentlich guter Dinge war. Es war eine frühe Bettruhe angesagt, damit ich ja ausgeschlafen bin.

Das Rennen

Quelle Sportograf GmbH & Co. KG (www.sportograf.com)

Quelle Sportograf GmbH & Co. KG (www.sportograf.com)

Sonntag früh, es war 03:15 Uhr, als ich das erste Mal auf die Uhr blickte. Der Klassiker, ich konnte nicht mehr schlafen. Ich war nervös, sehr nervös. Meine Vorbereitungen für den Ötzi hatte ich eigentlich schon am Vorabend getroffen, aber ein paar Sachen kann man immer noch tun. Dann ein relativ frühes Frühstück, denn man verballert ja genügend Kalorien auf diesen 238 Kilometern, gespickt mit 5500 Höhenmetern. Dann musste ich nochmals zum Interview antreten, ich glaube, alle haben erkannt, dass ich schon sehr angespannt war. Natürlich versuchte ich, das mit meinem Humor ein wenig zu überspielen, aber das gelingt dann nicht immer. Danach ab in die Startaufstellung.
Meine Taktik war so angelegt, dass ich mal locker losfahre und schaue, dass ich nie allein bin und immer jemanden um mich habe. In den Anstiegen wollte ich schon an meine Grenzen gehen, in der Gewissheit, dass der Kampf am Timmelsjoch dann nur noch eine reine Kopfsache werden würde. Die Abfahrten wollte ich eher risikolos anlegen, denn bei Geschwindigkeiten jenseits der 90 Sachen fühle ich mich einfach nicht mehr wohl. Ich glaube, das gehört auch dazu, seine Fähigkeiten nicht überschätzen und damit die Gefährdung für sich und andere zu minimieren. Ich hatte mir einen kleinen Trick zurechtgelegt, indem ich versucht hatte, meinen „Gipfelsieg“ am Timmelsjoch zu visualisieren, und mir dieses Bild in schwierigen Situationen vor Augen zu halten.

So, 06:45 Uhr, Startschuss für meinen ersten Ötztaler Radmarathon. Es folgte eine langgezogene Abfahrt nach Ötz, ca. 30 Kilometer. Wie es meinem Naturell entspricht, war ich hier immer eher auf der vorsichtigeren Seite unterwegs, hielt mich aus dem Gröbsten raus und war so relativ gut unterwegs. Ich war in Ötz unten weit vor meinem vorab zurechtgelegten Zeitplan. Und ab gings aufs Kühtai hinauf. Der Anstieg ist jetzt sicherlich nicht der einfachste, aber es ging ziemlich gut, ich hatte da keine Schwierigkeiten, fand meinen Rhythmus und pedalierte so in meinem eigenen Tempo hinauf aufs Kühtai. Ich sah mich meinem Ziel, in einer Zeit unter 13 Stunden zu finishen, schon sehr nahe. Aber man soll nur ja nicht glauben, dass es damit schon getan wäre. Oben war die erste Labestelle, hier ordentlich „aufgetankt“ mit Flüssigkeit und Kohlehydraten. Und natürlich durfte ich auch noch zu einem Kurzinterview antreten, um das bisher Erlebte zu schildern. Die Abfahrt hatte ich dann wieder relativ risikolos in Angriff genommen, denn ich wollte meinem Credo treu bleiben. Im Inntal angekommen, war ich dann kurzfristig allein, konnte aber dank Rückenwind problemlos zu einer Gruppe aufschließen und nahm dann gemeinsam mit diesen Kollegen den Weg nach Innsbruck unter die Räder.

Bis Innsbruck lief eigentlich wirklich alles nach Plan. Aber dann kam der Brenner. Viele Leute hatten mich vor dem Brenner gewarnt, ich solle ihn unter allen Umständen in einer Gruppe in Angriff nehmen, nur ja nicht alleine fahren. Das wurde mir letztendlich auch mit Erfolg eingetrichtert. Ich wollte immer in einer Gruppe sein. Anfangs gings auch ganz gut, hatte nette Sportsfreunde erwischt, mit denen man auch plaudern konnte.
Dann kam der Anstieg nach Schönberg hinauf, und hier wurde die Gruppe dann gesprengt, ich war dann auf mich allein gestellt. Im Anstieg selbst kein Problem, dachte ich mir, aber wenns wieder flacher wird, muss ich in eine Gruppe. Als die Steigung wieder nachließ, sah ich dann eine Gruppe vor mir, es dürften wohl einige Hundert Meter gewesen sein. Der Blick zurück war nicht so extrem aufschlussreich. Also ab nach vorne.
Ich glaube, dass das wohl mein Kardinalfehler war, denn rückblickend betrachtet, habe ich hier wohl zu viele Körner verschossen. Ein wenig Gegenwind nagte auch noch an meinen Kräften. Aber ich konnte die Gruppe erreichen. Danach kurz Beine hängen lassen?

Fehlanzeige, ich hatte Mühe, die Gruppe zu halten. Ganz besonders nach Matrei am Brenner und Gries musste ich wirklich ganz fest auf die Zähne beißen, um nicht hinten raus zu fliegen. Ich wusste, dass dann kurz vor dem Pass nochmals ein Steilstück kommt und sehnte dieses dann auch wirklich herbei. Als es da war, konnte ich endlich von der Gruppe ablassen und im Steilstück mein eigenes Tempo fahren. Was für eine Erleichterung! Man mag es kaum glauben, aber ich hatte noch nie so einen Grad der Entspannung bei 12% Steigung.

Die Zeitkontrolle war ca. fünf Minuten vor Ultimo erreicht und so rollte ich dann auf die zweite Verpflegungsstelle zu. Die hatten die flotteren Teilnehmer wohl schon fast leergefressen. Ich, noch ein wenig enttäuscht von meiner Performance am Brenner, hatte Mühe, mich gut zu verpflegen, die guten zuckerhaltigen Getränke waren schon aus, ich durfte mir mit Gels das Wasser versüßen …

Naja, das allein wäre an sich noch kein Grund zum Verzweifeln. Aber ich hatte dann wohl auch ein wenig rumgetrödelt, denn als ich wieder wegfuhr, natürlich in einer Gruppe, war die Straßensperre schon wieder Geschichte, obwohl sie eigentlich noch eine halbe Stunde dauern hätte sollen. Das wird mich jetzt auch nicht um Stunden zurückgeworfen haben, aber für den Kopf wars jetzt nicht optimal. Die Abfahrt nach Sterzing war halt verkehrsbedingt nicht so flüssig wie erhofft, aber gut, was solls.
Dass es noch so weit ist bis nach Gasteig, den Einstieg in die Auffahrt zum Jaufenpass, war dann zusätzlich noch ein so nicht erwarteter Tiefschlag für mich. Ich war jetzt schon deutlich hinter meinem Zeitplan, es war dann auch gewiss, dass es wohl eine ziemliche Herausforderung werden würde, das Zeitlimit am Jaufen zu schaffen.

Nichts desto Trotz ging ich diese Aufgabe an. Aber der Tritt war nicht mehr so rund, obwohl die Beine wirklich noch gekonnt hätten. Ich hatte noch ordentlich was im Tank. Aber mein Unterbewusstsein war schon der Meinung, dass ich das Limit nicht mehr schaffen würde. Dauernd die Wagen der Rennleitung um einen herum, das stärkt nicht gerade die Moral. Aber ich raffte mich auf, kurbelte hoch und kam doch ganz gut voran.

Das verfrühte Ende

Aber dann, ca. vier Kilometer vor der Labestation am Jaufen nahm das Unglück seinen Lauf: Der Besenwagen überholte mich. Ein Finger aus dem Fenster des Beifahrers gab mir zu verstehen, ich sei aus dem Rennen raus. Große Enttäuschung machte sich breit, aber der Ehre wegen wollte ich noch zur Labestation. Mein Tritt wurde immer schwerer, wofür lohnt es sich jetzt noch, zu kurbeln. Und schließlich einen Kilometer vor der erwähnten Verpflegung war dann Schluss, der Kopf wollte nicht mehr, ob der Sinnlosigkeit dieses Unterfangens. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich 153 km und 3300 Höhenmeter auf der Uhr.

Ich wartete am Straßenrand auf eine Mitfahrgelegenheit, welche sich dann umgehend auftat. Ich wurde mit dem Taxi wieder runtergefahren nach Gasteig. Ich musste aber den Fahrer bitten, nicht so schnell zu fahren, denn mir wurde wirklich übel und ich hatte das Gefühl, ich müsste jeden Moment erbrechen. Glücklicherweise musste ich dann doch nicht, weil der Fahrer mit mir ein Einsehen hatte. Unten angekommen wurden wir dann in einen großen Bus umgeladen, der uns über den Brenner, Innsbruck und durchs Ötztal wieder nach Sölden brachte. Ich konnte im Bus sitzend meine Enttäuschung nicht mehr verbergen, Tränen kullerten mir übers Gesicht, meine Stimmung war am Boden.

In Sölden angekommen, musste ich noch ins Zielgelände, denn das Zielinterview war noch zu geben. Wie gern hätte ich das ein paar Stunden später, völlig abgekämpft aber überglücklich über die Zielankunft gegeben, die Frustration war mir deutlich anzumerken. Aber ich hatte mich nicht gut genug vorbereitet. Diese flachen Anstiege, diese Schmierer, das muss ich noch besser trainieren, ich muss an meiner Steigleistung insgesamt arbeiten, vielleicht würde es nicht schaden, wenn ich das eine oder andere Kilo weniger hätte.

Aber gut, nennen wir es Lehrgeld, das ich zu zahlen hatte. Der Ehrgeiz hat mich aber auf jeden Fall gepackt, ich will diesen Ötzi unbedingt bezwingen, will dieses Gefühl haben, den Klassiker schlechthin gefinisht zu haben.

Deshalb habe ich mich auch wieder registriert und hoffe auf einen Startplatz 2016. Wie es mir dabei ergangen ist, könnt ihr hier nachlesen.

Ein Beitrag von:
Alexander Trauner
Gemütlicher Österreicher, aufgewachsen in der rauhen Gegend am Fuße der Großglockner Hochalpenstraße, wohnhaft in Salzburg. Früher nur Passivsportler, dann 2008 dank großer Klappe zum Radfahren gestoßen, 2009 mein erstes Rennrad gekauft und seither gerne im gemäßigten Tempo in der Gegend unterwegs.
4 Kommentare
  1. Boldi sagte:

    Der emotionale Teil macht deine Geschichte sehr sympathisch. Trotz allem… Hut ab vor deiner Leistung – immerhin hast jetzt schon 3300 Ötztalerhöhenmeter mehr als ich. Man wächst mit seinen Erfahrungen. Ich glaub an dich.

    Antworten
    • Xandi sagte:

      Hallo Boldi,
      danke fürs Kompliment, das mit dem emotionalen Teil war so geplant, es ist halt wirklich eine ganz persönliche Schilderung, und mir sind beim Schreiben wieder die ganzen Gefühle hochgekommen. Aber hoffentlich dieses Jahr im August auf ein Neues, und diesmal mit Finish.
      Liebe Grüße
      Xandi

      Antworten

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