Silvia Perrenoud und Markus Fankhauser auf dem Siegerpodest Tortour 2019
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Über offene Rechnungen und Lindorkugeln: Die Sieger der Tortour 2019 2er-Mixed im Gespräch

Die Tortour ist eines der weltweit grössten mehrtägigen Ultracycling-Events mit einer Distanz von über 1000 km rund um die Schweiz. Silvia Perrenoud aus Ins und Markus Fankhauser aus Sugiez haben die diesjährige Ausgabe in der Kategorie 2er-Mixed mit über 5 Stunden Vorsprung vor dem zweitklassierten Team gewonnen. Im Interview erzählen sie über die Vorbereitung, die Durchhänger und das Gefühl, nach über 36 Stunden über die Ziellinie zu fahren.

Silvia und Markus, erst einmal herzliche Gratulation zu eurem Sieg. Es war für euch beide nicht die erste Teilnahme an der Tortour. Erzählt kurz.

Silvia: Ich bin die Tortour bereits zweimal mitgefahren: 2012 erfolgreich in einem 2er-Frauenteam und letztes Jahr mit dem Tandem gemeinsam mit Chantal Cavin, einer blinden Fahrerin, wobei wir da leider aufgeben mussten.

Markus: Ich habe ebenfalls bereits zweimal teilgenommen, 2015 und 2016 als Solofahrer. Mit dem Gedanken: wenn Tortour, dann im Alleingang. Im Nachhinein war ich wohl übermotiviert; ich nahm mir zu wenig Zeit für Pausen, die Ernährung spielte nicht mit, so dass ich beide Male abbrechen musste. Und dachte: Die Tortour und ich, das soll wohl einfach nicht sein.

Dann habt ihr letztes Jahr auf einer langen Fahrt gemerkt: Ihr beide als Team, das könnte klappen, um eure offenen Rechnungen mit der Tortour zu begleichen. Markus, du bist eher der strukturierte Typ. Wann und wie hast du begonnen, dich auf die Tortour vorzubereiten?

Markus: Im Prinzip habe ich die letzten vier Jahre auf dieses Rennen hin trainiert. Im Winter fokussierte ich mich auf die Rumpfstabilisation, damit der Körper solchen Belastungen überhaupt standhält. Im Februar sammelte ich im Trainingslager auf Gran Canaria ordentlich Höhenmeter. In der zweiten Hälfte der Vorbereitung konzentrierte ich mich dann unter anderem auf 3 – 5-stündige Fahrten mit jeweils 3 Stunden Pause dazwischen, um den Körper an den Wechsel zwischen intensiver Belastung und kurzer Regenerationszeit heranzuführen.

Silvia, dich kann man mit Struktur und Trainingsplänen jagen. Wie hast du dich vorbereitet?

Silvia (lacht): Ich bin einfach gefahren. Ich habe diese Saison an vielen Rennen teilgenommen, darunter an so verschiedenen Formaten wie der Berner Rundfahrt, dem 24-Stundenrennen in Kelheim und der Tour du Mont Blanc, so dass mir nur wenig Zeit blieb, spezifisch auf die Tortour hin zu trainieren.

Wie sahen die letzten Tage vor der Tortour aus?

Silvia: Stressig.

Markus (lacht): Für mich nicht. Das ist nun der Vorteil als strukturierter Typ. Daneben hatte ich im Laden eine ganze Auswahl an Helfern zur Verfügung, die mir eine Menge Vorbereitungsarbeit mit den Rädern abgenommen haben.

Silvia: Es sind tausend Dinge, die einem durch den Kopf gehen. Natürlich kann man viel an das Begleitteam abgeben. Dennoch kommt einem ständig dies und jenes in den Sinn; habe ich nichts vergessen, das Rad vorschriftsgemäss beklebt, ist alles Material im Bus … gleichzeitig sollte man viel schlafen, gut essen, es ruhig nehmen – und ist doch im Kopf schon beim Rennen.

Welche Etappe war die Härteste?

Silvia Perrenoud am Kerenzerberg
Silvia im Morgengrauen am Kerenzerberg. Quelle: Alphafoto.

Silvia: Für mich waren es zwei. Die eine von Interlaken nach Wiggen über den Beatenberg. Die Erholungsphase war zu kurz, und die Portion Pasta, die ich in Meiringen auf die Schnelle hinuntergewürgt hatte, lag mir wie ein Stein im Magen. Die andere in der zweiten Nacht im Jura über den Grenchenberg nach Saignélegier. Da habe ich richtig gegen die Müdigkeit gekämpft.

Markus: Schlafmangel war bei mir weniger ein Thema. Für mich war schon von vorneherein klar: Meine Tortur an der Tortour fängt im Jura an. Und so war es dann auch. Die Nachtetappe von Cheyres nach La Chaux-de-Fonds mit Rampen von 15–16 %, die Beine wollten nicht, der Kopf wollte nicht, ich konnte nicht essen … zum Glück ging die Krise nach einer halben Stunde vorüber.

Wie gelingt es einem, sich auch in schwierigen Phasen über einen so langen Zeitraum hinweg immer wieder selbst zu motivieren?

Tortour 2019: Helfer wechseln Regenschuhe und Leuchtweste des Fahrers
Helfer im Einsatz: Regenüberschuhe und Leuchtweste können weg. Quelle: privat.

Markus:Das Begleitteam hilft enorm. Wenn der Kopf nicht mehr mitspielt, kann die Crew hier wirklich den Unterschied machen und einen wieder auf die Spur bringen. Auch der Chat mit all den Freunden und Bekannten, die die ganzen zwei Tage und Nächte hindurch mitfieberten, hat mich unglaublich motiviert.

Silvia: Auf jeden Fall. Die Frage ist nicht, ob eine Krise kommt, sondern wann und wie lange sie dauert. Da hilft einem die Erfahrung. Man weiss, sie geht vorüber. Ich denke dann an die restlichen Kilometer bis zum Etappenziel und halte mir das Gefühl vor Augen, es bald geschafft zu haben. Cola und Lindorkugeln helfen auch immer über Krisen hinweg.

Das ist eine wunderbare Überleitung zum Thema Essen. Markus, wie sah deine Essensstrategie für zwei Tage und Nächte auf dem Rad aus?

Markus: Ich habe fünf Tage vor dem Rennen ein Carbo-Loading gemacht, um die Kohlenhydratspeicher zu füllen: 3 x pro Tag Pasta, Cola etc. Am Renntag selbst auf dem Rad dann nur Gels und Getränke und im Bus Kohlenhydrate: Bananen, Kekse und dergleichen. Warmes kann ich an einem Wettkampf nicht essen. Aber das ist individuell. Es gibt Fahrer, die auf Kondensmilch und Landjäger schwören.

Silvia, abgesehen von deinem persönlichen Superfood Lindorkugeln: Wie hast du dich verpflegt?

Silvia: Bei mir ist das Thema Essen an Wettkämpfen auch immer schwierig. Irgendwann bringt man einfach nichts mehr runter, und Gels vertrage ich nur bedingt. Für mich hat es sich bewährt, eine Auswahl an verschiedensten Lebensmitteln bereitzuhalten: Süsses und Salziges, Früchte, Müsli, Riegel, Gebäck … und eben Schokolade. Die rutscht fast immer.

Irgendwann war klar: Wenn jetzt nichts mehr schiefgeht, werdet ihr das Rennen gewinnen. Was war das für ein Gefühl?

Markus Fankhauser auf dem Rennrad in einer Ortschaft Tortour 2019
Markus in einem von unzähligen Ortskernen. Quelle: Alphafoto.

Silvia: Ein Gutes! Dennoch gibt man auch dann weiterhin alles. Es kann bis zum Schluss etwas passieren: ein Sturz, eine Panne …

Markus: Wir haben uns dann die Männerteams als Ansporn zum Dranbleiben genommen.

Eine Zeitlang wart ihr als Mixed-Team sogar an zweiter Stelle unter den Männerteams, beendet habt ihr es als Sieger der Mixed-Teams und mit der drittbesten Zeit aller 2er-Teams insgesamt. Ganz ehrlich: Habt ihr auf den Sieg spekuliert?

Markus: Wir wussten, dass ein Podestplatz drinliegt, wenn alles gut läuft Rang 1. Die oberste Devise lautete immer: Safety First. Aber doch – der Gedanke an einen Sieg war da.

Was war die erste Tat nach der Zieleinfahrt und dem Siegerinterview?

Silvia: Pommes essen!

Markus: Und dazu ein Bier. Und dann gleich noch ein Zweites.

Wie fühlte sich der Körper am Tag darauf an?

Markus: Ich hatte vor allem mit Rückenschmerzen zu kämpfen. Den Beinen ging es ausgezeichnet. Die richtige Müdigkeit kam erst am Montagabend daheim, als auch alles Organisatorische erledigt war und ich realisierte: Jetzt ist das Rennen durch.

Silvia: Die Müdigkeit mischt sich mit dem Hochgefühl nach den geschafften Strapazen. Ein Rennen in dem Ausmass ist etwas Besonderes; die Wirkung hält länger an als nach einem gewöhnlichen Wettkampf. Aber man spürt natürlich die körperlichen Auswirkungen: bei mir vor allem schwere Beine und pausenlos Hunger. Ich litt ausserdem schon von der Hälfte der Strecke an unter Knieschmerzen, so dass ich am Sonntagabend kaum mehr ins Auto steigen konnte.

Ins Auto steigen ging nicht mehr, wohl aber 500 km mit Knieschmerzen auf dem Rad sitzen – das ruft förmlich nach einer Wiederholung! Wird es nächstes Jahr eine erneute Teilnahme geben?

Markus: Nicht ausgeschlossen. Aber ich hätte da auch noch eine andere Rechnung offen …

Die da wäre? Erzähl!

Markus: Das »Race around Austria«. Die doppelte Strecke und logistisch eine viel grössere Herausforderung, aber …

Silvia Perrenoud und Markus Fankhauser am Prolog Tortour 2019
Quelle: Alphafoto.

Beim Wort »doppelte Strecke« beginnen Silvias Augen zu leuchten. Wir dürfen gespannt sein, welcher Herausforderung die beiden sich als Nächstes stellen. Und wer sie kennt, der weiss: Je länger, desto besser

Silvia und Markus, vielen Dank für das unterhaltsame Interview und viel Erfolg bei euren nächsten Vorhaben!

Silvia (39) ist lizenzierte Rennfahrerin. Dank Lindorkugeln legt sie um die 30’000 km im Jahr zurück und wird dennoch nie müde. Sie fährt ein Cipollini RB1K und ein Trek Domane.

Markus (51) ist Mitinhaber von VeloClusive, dem kleinen, aber feinen Velogeschäft in Ins und Generalimporteur von Sarto Schweiz. Er fährt ein Sarto Lampo und ein Trek Checkpoint.

Das Interview führte Barbara Moosmann, die das Vergnügen hat, regelmässig in Silvias und Markus‘ Windschatten zu fahren.

Wissenswertes zur Tortour

Die Tortour ist eines der weltweit grössten mehrtägigen Nonstop-Ultracycling-Events mit einer Distanz von über 1000 km quer durch die Schweiz. Die Strecke kann als Solofahrer oder in einem 2er-, 4er- oder 6er-Team zurückgelegt werden. Als kürzere Alternative werden ausserdem die Formate »Challenge« über 550 km und »Sprint« über 390 km angeboten.

Die Tortour-Strecke 2019 führte über 1037 km und knapp 15000 hm, unterteilt in 17 Etappen. Die Solofahrer legen die gesamte Route im Alleingang zurück. Bei den 2er-Teams absolvieren die Fahrer 3 Etappen (die erste, die letzte und eine in der Mitte) gemeinsam, die restlichen werden den Fahrern A und B zugewiesen. An den Timestations erfolgt jeweils der Wechsel und die Übergabe des Transponders.

Schweizerkarte mit Strecke Tortour 2019
Der Streckenplan 2019

Die Athleten benötigen für die Strecke zwischen 32 und 48 Stunden. Silva und Markus starteten um 2 Uhr in der Nacht von Donnerstag auf Freitag und kamen am Samstag um 16 Uhr wieder in Schaffhausen an. Das Hotel, in dem die Fahrer und wir Begleiter am Vorabend des Starts untergebracht waren, hatte sich auf die Tortourteilnehmer eingestellt und servierte ab 22 Uhr Frühstück.

Hinter den Kulissen

Das Begleitteam: Jeder Fahrer (ausgenommen Distanz Sprint) wird von einem Team mit einem signalisierten Fahrzeug begleitet. Ein Team besteht aus 3 Begleitern: Eine Person fährt, eine navigiert und eine behält den Rennfahrer im Auge. Ideal ist eine Verbindung über Funk, wobei die in unserem Fall zumindest in der ersten Hälfte der Tour ausfiel. Die Begleiter des gerade aktiven Fahrers halten sich mit dem Bus stets in dessen Nähe, um bei Bedarf am Strassenrand die Trinkflasche zu wechseln, Zwischenverpflegung zu reichen, die Windjacke oder die nachts obligatorische Leuchtweste abzunehmen und, last but not least, den Fahrer zünftig anzufeuern.

Tortour 2019: Übergabe Verpflegung an die Rennfahrerin
Gipfeliübergabe am Samstagmorgen. Quelle: privat.

Währenddessen chauffiert das Team des anderen Radfahrers diesen zur nächsten Timestation, wo er sich für den Wechsel bereitmacht. Die Zeit im Bus nutzt der Athlet, um sich zu verpflegen, die Kleidung zu wechseln und wenn nötig und möglich für eine Schlaf- oder zumindest Ruhephase. Die Begleiter kümmern sich um das Rad, laden die nächste Etappe auf das Navigationsgerät, reichen Verpflegung, etc. Das gilt natürlich nur für Team-Teilnehmer. Solofahrer legen die gesamte Strecke nonstop zurück.

Im Begleitbus wird so ziemlich alles Denkbare für jede Eventualität mitgeführt: ein zweites Rad für Bergetappen, Ersatzlaufräder, Reparaturmaterial, Ersatzteile, Standpumpe, Beleuchtung, Ersatzakkus, Velokleidung für alle Wetter- und Höhenlagen (Regen, Wind, Kälte auf Abfahrten, …), Ersatzschuhe, Getränke und Lebensmittel für den Athleten und die Crew, Notfallnummern, Erste-Hilfe-Koffer, und und und …

Ein immenser Aufwand, sowohl organisatorisch als auch finanziell. Doch einer, der sich lohnt. Ein Rennen in dem Ausmass der Tortour bleibt sowohl den Athleten als auch dem Begleitteam trotz aller Strapazen und Schlafmangel als unvergessliches Erlebnis in Erinnerung.

Ein Beitrag von:
Barbara Moosmann
Beheimatet im Berner Seeland. Viel unterwegs zwischen Seen, Bergen und den Bäckereien auf der Strecke, meist in der Schweiz und im angrenzenden Ausland. 2015 die Liebe zum Rennradsport entdeckt, seither jedes Jahr eine merkliche Steigerung der Besessenheit (und des Könnens).
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