Ein Loblied auf die Advents-Ausnüchterungsfahrt
Das kann jeder: an einem lauen Sommerabend mit dem Rad an ein Grillfest. In Erwartung ausgelassener Stimmung und erhöhter Bier- und Weinseligkeit ist das Fortbewegungsmittel der Wahl das Rad. Eventuell erlaubt eine Tropennacht die Heimfahrt in T-Shirt oder Shorts, der helle Mond – oder bei sehr ausgelassener Stimmung sogar die Morgendämmerung – leuchtet den Weg aus. Wer kennt diese Fahrten nicht, sie verkörpern die Leichtigkeit des sommerlichen Seins.
Stille Nacht – saukalte Nacht …
Alles schläft; einsam fährt
Nur das traute winterharte Paar.
Uns (Barbara und mich) ereilen Einladungen eher in der Adventszeit als die Sommer-Grilladen. Und diese Einladungen verlaufen mitnichten weniger weinselig als Sommer. Aufgrund unseres ländlichen Heims stellt sich also die Frage: Entweder nehmen wir das Auto und jemand macht alkoholische Nulldiät oder wir nehmen das Rad. Es sind eigentlich nur 18 Kilometer, aber in der Adventszeit ist von der sommerlichen Leichtigkeit des Seins leider gar nichts mehr da.
Willenstraining
Eigentlich könnte man diesen Beitrag unter «Training & Rennen» klassifizieren. Schliesslich hat Rennradfahren auch viel mit Willensstärke zu tun. Und diese Willensstärke will auch traininert sein. Die Entscheidung, aus obengenannten zwei Optionen die Variante «Rennrad» zu wählen, erfordert eine ordentliche Portion Willensstärke (oder einen gewaltigen Drang, dem Rotwein zuzusprechen). Egal wie gross dieser Drang sein mag … angesichts des bevorstehenden Fests der Liebe geht an dieser Stelle mein Dank an Barbara. Ich wüsste keine andere Frau, die das Jahr für Jahr mitmachen würde.
Prüfung Nummer 1
Man sitzt zu Hause, draussen ist es bereits stockdunkel, Temperaturen bereits unter Null, eine erste Müdigkeit macht sich breit, das Feuer im Kamin bollert, die Verlockung, gar nicht aus dem Haus zu gehen und sich mit einer billigen Ausrede (ganz plötzlich auftretende Bauchschmerzen, akuter Verdacht auf «Noro Virus») aus der Affäre zu ziehen werden in Erwägung gezogen.
Das Auto steht vor der Tür, wäre also auch immer noch eine Option.
Nun die Abendgarderobe in den Rucksack zu packen und sich die ganze nervige Zwiebel-Bekleidungsphalanx überzuziehen, im Wissen, dass dies alles schon bald wieder zurückgebaut werden muss … oftmals geschiet die Umziehaktion noch in irgendeiner dunklen, einsamen Seitengasse um in «normaler» Kleidung bei einem Fest zu erscheinen und nicht in den Radklamotten bereits zu Beginn einen affigen Auftritt hinzulegen. Dieser Moment, wo das Auto förmlich nach Benutzung schreit, ist Prüfung Nummer 1.
Es gibt kein Zurück
Wenn man solche Fahrten schon mal gemacht hat, weiss man, dass es nicht lustig werden wird, nach Hause zu fahren. Man ist nun an dem Fest, weiss, dass man dem Alkohol zusprechen kann. Das wird daher auch ausgenützt, was die Situation nicht besser macht. Und man zögert den Moment, sich von den Festivitäten zu verabschieden, so lange hinaus wie möglich.
Prüfung Nummer 2
Nun muss man einfach von dem Auftritt leben, der einem durch den erneuten Kleiderwechsel sicher ist. Drinnen ist es mollig warm, alle sind etwas müde, vollgefressen, angetrunken und draussen ist es saukalt, dunkel und neblig. Niemand will jetzt raus. Schon gar nicht mit dem Rad nach Hause fahren. Der Kleiderwechsel erregt deshalb Aufsehen und garantiert Heldenstatus. Dieses Mometum muss man ausnutzen, um Prüfung Nummer 2 zu bestehen und in die Pedale einzuklicken. Denn danach ist ja eigentlich auch klar, dass man das Unternehmen nicht mehr abbricht.
So richtig Spass macht es aber nicht. Das Aussenthermometer in der Stadt zeigt -6°C und 1 Uhr in der Früh an. Das bedeutet, dass es ohne Zivilisationsabwärme bald -9°C geben wird, dazu der Nebel und die Müdigkeit. Wortlos fahren wir hinter- oder nebeneinander. Klar, so ein Abend gäbe ausreichend Stoff zur Nachbesprechung. Aber das ist jetzt nicht angesagt. Es ist offensichtlich, dass man leidet. Mein Lateinlehrer im Gymnasium, auch des Russischen mächtig, hat mal gesagt, dass die Aussprache des Russischen wohl massgeblich davon geprägt ist, dass man es mit fast geschlossenem Mund sprechen kann und so die Kälte nicht in die Lungen kommt. Wir können kein Russisch, also sprechen wir nicht.
Zu Hause angekommen
Wer jetzt noch nicht Lust auf eine Advents-Ausnüchterungsfahrt bekommen hat, dem sei versichert, dass der Moment des Nachhausekommens grossartig ist. Ein Teil der grosszügig konsumierten Kalorien wurde in kinetische Energie und Körperwärme umgewandelt. Der benebelte Kopf ist durch die klirrende Kälte wieder klar. Und man sinkt irgendwie zufriedener ins Bett, als wenn man mit dem Auto nach Hause gefahren wäre …
Respekt! Fühle mich gerade wie ein Weichei…
Hehe, das kann ich von dir leider nicht ernst nehmen :)
Aber danke!
Immerhin habe ich heute erste (unfreiwillige) Schritte in Richtung Abhärtung unternommen: Bin also hoch zur Haggenegg gequetscht, in einem alten Langarmtrikot mit ausgeleierter Rücktasche. Hat dazu geführt, dass ich auf dem Weg die dort verstaute Jacke verloren habe ohne es zu bemerken. Oben merke ich es – shit, Jacke weg. Also 900hm Abfahrt ziemlich verschwitzt (weil vernünftiges Tempo den Berg hoch…) ohne Jacke. Und natürlich ist zwischenzeitlich der Nebel angestiegen, so dass die Hälfte davon im kalten Nebel war… Gleiches Spiel danach nochmals beim 2. Anstieg…
Shit! Besserung ist in Sicht. Anfang Januar bringe ich ein paar Cycling Adventures Huiding Klamotten in die Schweiz, unter anderem deienn Satz. Dann ist das Trikottaschen Problem gefixt
Und ja, wenn ihr mal nach Luzern kommt, würde ich eher nicht die >100km noch zurückfahren
auch wenn der Ausnüchterungseffekt sicher top wäre ;-)
Stimmt. Ich tendiere zu übernachten und am nächsten Morgen nach Hause fahren