Digitalisierung am Rennrad
Würde man eine Statistik anlegen, aus welcher Berufsgattung unsere Rennrad Reiseteilnehmer stammen, dann würden die Informatiker mit deutlichem Vorsprung das Rennen machen. Es scheint also gut zu passen, sich auf dem Rennrad von dem binären Alltagsgeschehen, permanenter Erreich- und Verfügbarkeit, 24×7 und dergleichen zu erholen. Ob die Informatiker es nun begrüssen oder verteufeln, dass die Digitalisierung auch auf dem Rennrad voranschreitet, das sei jedem selbst überlassen. Der eine mag sich auch in der Freizeit gerne mit «electronic gadgets» befassen, der andere geniesst es, seine Freizeitbeschäftigung ohne Bugs und Workarounds zu verbringen.
Digitalisierung – eine Kolumne
Ich gehöre ihnen auch an, den Informatikern, als Mitinhaber zweier kleiner Web-Agenturen. Jedoch bin ich nicht in der Lage, einen sachkompetenten Blogbeitrag zu den verschiedenen Technologien und Trends zu verfassen. Dazu gehöre ich eben zu fest in die Kategorie derjenigen, die sich neben dem Job lieber nicht mit Softwareupdates und Leistungskennzahlen beschäftigen. Trotzdem, das Thema Digitalisierung interessiert mich durchaus. Daher habe ich mir überlegt, zur Abwechslung mal eine Kolumne zu schreiben.
Dauerbrenner «Digitale Transformation» und «Disruption»
Nicht auf dem Rad, sondern im Berufsalltag sind diese beiden Begriffe im 2016 omnipräsent. Meine Kunden benötigen heute in der Regel viel mehr als nur eine Website, oftmals brauchen sie auch Beratung. Wie muss das Geschäftsmodell in Zeiten der digitalen Transformation angepasst werden, welche Rolle spielt eine Website dabei?
Als leidenschaftlicher Rennradfahrer stellen sich diese Fragen daher automatisch auch bezüglich dem heissgeliebten Sportgerät. Gerne werden die beiden Buzzwords in einen Topf geworfen, nur weil Disruptionen oft mit einem neuen, digital unterstützen Geschäftsmodell einhergehen (bspw die immer wieder zitierten Vorzeigemodelle Uber und AirBNB). Doch Disruption gab es schon immer, also ein Geschäftsmodell, das die bestehende Praxis fundamental auf den Kopf gestellt hat. Wenn wir das Rennrad betrachten, so ist es wohl so ziemlich das Gegenteil von «disruptiv». Der Siegeszug von Carbon, elektronische Schaltungen, Scheibenbremsen. Das alles sind etablierte Technologien, welche Einfluss auf die Entwicklung des heutigen Erscheinungsbildes eines Rennrades hatten, aber disruptiv waren diese Technologien wahrlich nicht. Im Grossen und Ganzen steht das Rennrad immer noch so da wie vor Jahrzehnten auch.
Und wie sieht es mit der digitalen Transformation aus? Natürlich ist eine Digitalisierung im Gang, aber von einer Transformation zu sprechen, das wäre doch arg übertrieben. Jeder so, wie er will. Betrachten wir unsere Blog-Autoren, so markiert Lutz das obere Ende des technophilen Rennradfahrers während Barbara beweist, dass man mehrtägige Touren auch komplett analog erfolgreich bewältigen kann.
Digitalisierung am Rennrad – wo stehen wir
Ich denke, wir stehen noch sehr am Anfang. Wenn wir unsere Reiseteilnehmer als repräsentativ annehmen, so ist die elektronische Schaltung mittlerweile etabliert und bei etwa knapp der Hälfte der Räder installiert. Wenn wir die damit anfallenden Probleme unter die Lupe nehmen, so sind das auch nicht mehr als diejenigen, welche aus den herkömmlichen Kabelzugschaltungen anfallen.
Ernsthafter Hinderungsgrund neben dem Mehrgewicht und allfälligen Mehrkosten ist in meinen Augen die hässliche Optik. Allein das Wort «Kabelbaum» löst einen kleinen Schocker aus und die Form-Unschönheit von Schaltwerk und Umwerfer leisten das Übrige, dass ich noch nicht in Versuchung gerate, mich von der althergebrachten Technik zu verabschieden.
Weitere Bestrebungen wie die Kettenverschleissmessung der App von Campagnolo, Luftdruckmessung und Warnung wenn ein gewisser Grenzwert unterschritten wird bei Lightweight, In-sight Display und Fahrzeugerkennung von Garmin, Radar, geschwindigkeitsabhängige Helligkeitsanpassung beim Licht – ich weiss nicht. Das mag irgendwann Standard sein, aktuell erscheint mir das ein etwas krampfhafter Versuch, mittels der Digitalisierung ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber der Konkurrenz zu erlangen. Legitim, aber alles noch etwas sehr beta.
Dass sich die Digitalisierung am Rennrad nicht so aufdrängt, könnte auch ein Glück sein. Wie nervig sind schon nur die unterschiedlichen Steckersysteme, nur um seine diversen Geräte wieder mit dem nötigen Saft auszustatten. Garmin Edge 800, Smartphone und allenfalls noch ein IPad. Eine Minimalausstattung elektronischer Gadgets, die man auf eine Reise mitnimmt. Und schon schleppt man 3 verschiedene Ladegeräte im Gepäck mit. Hoffen wir daher auf eine Standardisierung, wie sie OpenBike anstrebt, damit nicht dasselbe passiert wie bei den Autos, wo die gleichen Features von X Herstellern für ihre proprietären Systeme entwickelt wird.
Leider haben sich in der Vergangenheit solche Standardisierungsversuche in der IT als nicht sonderlich erfolgsversprechend erwiesen. Am ehesten setzte sich eine Pseudo-Standardisierung aufgrund einer dominierenden Marktposition eines Herstellers durch.
Digitalisierung – mein Wunsch
Wie schon angetönt zähle ich eher zu der zurückhaltenden Fraktion was elektonische Gadgets angeht. Auch wenn ich beispielsweise die Funktionen meines Garmin Edge nicht mehr missen möchte, in vielerlei Hinsicht sind die Geräte doch auch eine Geissel. Ohne Sensoren funktionieren die Geräte nicht und Sensoren benötigen Strom.
Schauen wir mal auf die Ausrüstung von Lutz, die durchaus dem heutigen Standard entspricht:
- Smartphone
- Garmin 1000 oder 520
- Leistungsmesser Rotor Power
- Pulsgurt
- Der Nabenrucksack zum Garmin für die präzise Geschwindigkeitsmessung
- Rücklicht
- elektronische Schaltung
- ev. noch eine Digitalkamera
Das sind ziemlich viele Geräte, Sensoren und vor allem Akkus und Batterien, deren Ladestand überprüft werden muss und bei Versorgungsnotstand aufgeladen oder sogar ersetzt werden.
Ich halte mich da bisher an ein bewährtes System aus Sensoren, das schon mehr als vier Jahrzente Dauerbetrieb hinter sich hat: mein Körper. So schön und lustig die Gadgets sind, einiges spürt man ja auch einfach. Beispielsweise den Puls. Seinen Puls zu messen finde ich schon OK, wenn es drum geht, die Belastungen etwas kennenzulernen. Aber nach Lebenskilometern im sechstelligen Bereich weiss ich, wann ich im roten Bereich fahre und wann im Grundlagenbereich. So kann ich die Anzahl vom Strom abhängiger Geräte auf zwei Stück reduzieren: Smartphone und GPS-Gerät. Gut, ein batteriebetriebenes Rücklicht wäre manchmal schon ganz vernünftig und auch bei den geknipsten Bildern muss man mit dem Smartphone gewisse Abstriche machen, aber es funktioniert.
Meine Wunschvorstellung einer sinnvollen Digitalisierung am Rennrad wäre, dass das Smartphone, das wir als erweitertes Gehirn und Kommunikationszentrale ja eh meist bei uns tragen, die zentrale Funktion übernimmt. Dazu ein sehr gut ablesbares, optisch ansprechendes Display am Lenker, möglicherweise sogar in den Lenker integriert sofern man diese Tragflächen-Dingers fährt, das aber nur die Infos vom Smartphone ausgibt. Und ein schlanker Hochkapazitätsakku, irgendwo diskret angebracht, der die beiden Geräte drahtlos mit Strom versorgen kann und per Klick vom Rad entfernt und mit einem gängigen Ladegerät aufgeladen werden kann. Das wäre mir schon Digitalisierung genug, den Rest sollen die Beine ganz analog erledigen. Klar, da ist etwas Utopie dabei, trotzdem sind es alles Technologien, an denen intensiv geforscht wird. Und wer weiss, was sich die Ingenieure noch einfallen lassen.
Digitale Transformation? Natürlich!
Ist das Rennrad oder die Radbranche also nicht betroffen von der digitalen Transformation? Reicht es aus, die Technik-affinen Radfahrer mit ein paar netten Spielereien auszurüsten?
Doch, klar. Ich denke, diese Entwicklung betrifft alle, auch traditionelle handwerkliche Betriebe. Leider – um den Bogen wieder zu schliessen und zurück zu meiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit zu kommen – empfinde ich die Radbranche als ausserordentlich behäbig. Man hört nur viel Gejammer über die Konkurrenz aus dem Internet, die das Geschäft kaputt machen, wieviele kleine Betriebe daran zugrunde gehen. Dass diese Veränderungen auch grosse Chancen bieten, das hört man selten bis nie in der Radbranche. Ein bisschen Social Media, responsive Website und Strava reichen nicht aus, das sind längst etablierte Dinge. Digitale Transformation geht viel weiter. Es geht darum, sein eigenes Geschäftsmodell auf den Prüfstand zu stellen, Trends wie die Digitalisierung am Rennrad aufzunehmen, seine Kompetenz im Web unter Beweis zu stellen, sich zu vernetzen, neue Marketing- und Vertriebskanäle zu suchen. Diesen Zug haben die Radhändler längst verpasst. Nur Frühlings- und Herbst-Service ausführen, Ketten wechseln, ein paar E-Bikes verkaufen und sich dabei über die schrumpfende Marge zu ärgern, das ist heutzutage kein tragendes Geschäftsmodell mehr, egal in welcher Branche …
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