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Bianchi Oltre XR 4 im Test

Bianchi Oltre XR 4 – Irgendwann musste es mal sein

Schon bevor ich mit dem Rennradfahren begonnen hatte, war mir das 1885 von Edoardo Bianchi in Mailand gegründete Unternehmen Bianchi ein Begriff. Vor allem die Optik der Rennräder in der traditionsfarbe Celeste bei der Tour de France oder anderen Rennen war stets etwas Besonderes für mich. Da ich zusätzlich noch ein Italien-Liebhaber bin, war es nur eine Frage der Zeit, bis ein Bianchi Rahmen für den Rennrad Aufbau mein Eigen wurde.

Auch wenn die Firma Bianchi heute zum schwedischen Konzern Cycleurope gehört, ist aus meiner Sicht die italienische Ausstrahlung der Marke und der Rennräder erhalten geblieben.

Nicht nur die Farbe, auch die Formgebung des Bianchi Oltre XR 4 waren es, die den „Haben-Wollen“ Reflex auslösten. So schaute ich mir den Rahmen bei einem Händler an und war sofort begeistert.

Ich zögerte lediglich noch kurz, da mein Ziel ein Rennrad für die Berge war und das Oltre XR 4 eine Aero Renner. Mit dem Specialissima hat Bianchi ja noch einen sehr leichten Rahmen (1120 Gramm) im Angebot. Das Oltre XR 4 wiegt mit 1350 Gramm bereits 230 Gramm mehr.

Optisch konnte mich der Rahmen des Specialissima jedoch nicht so sehr überzeugen wie das Oltre XR 4. Da Rennradfahren ja aus mehr als „nur“ Bergauf  fahren besteht, entschied ich mich dann wie geplant für das Bianchi Oltre XR 4. Ich redete mir dazu auch ein, dass die Zeitersparnis durch die Aerodynamik diesen Nachteil sicher wieder ausgleichen würde.

Eine weitere Überlegung war, ob ich den 57er Rahmen mit einem 110er Vorbau nehme oder den 55er Rahmen mit einem 130er fahren will. Ich entschied mich klar für den 57er Rahmen, da er im Verhältnis deutlich höher baut als der 55er. Ich habe eine hohe Schrittlänge und eher kurzen Oberkörper, so dass die Sattelüberhöhung beim 55er Rahmen zu gross werden würde.

Wenige Minuten später gehörte der Rahmen mir und dem Händler dafür eine nicht unwesentliche Summe an Geld.

Anders als Direktversand- oder Massenhersteller-Räder, kostet ein Bianchi Rahmen doch einiges mehr. Immerhin € 3’899.- kostet der Rahmen in der unverbindlichen Preisempfehlung und auch bei den meisten Online Händlern. Für dasselbe Geld bekommt man schon komplette, top ausgestattete, Rennräder! Aber was ist schon rational in unserem Sport. Ich kann empfehlen mit lokalen Händlern über Rabatt und Barzahlung zu reden. Da geht meist noch etwas.

Ein Rennrad soll Spass machen und dazu schadet es auch nicht wenn einem das Rad richtig gut gefällt. Meine ersten Räder waren von Canyon oder Rose. Immer ganz vorne in den Tests. Optisch jedoch in der Regel eher sehr nüchtern und wenig interessant. Vom Fahreindruck war ich damit jedoch stets sehr zufrieden.

Daher war ich nun gespannt, ob das Bianchi Oltre XR 4 hier mithalten kann. In den einschlägigen Rennradzeitungen findet man es nie in Tests (was für viele Italiener gilt). Da ich diesen Tests jedoch sowieso wenig traue, war mir dies egal. Ich wollte einfach ein Bianchi. Und dass das Team Lotto NL Jumbo mit schlechterem Material rumfährt als der Rest konnte ich mir auch nicht vorstellen.

Die Ausstattung MEINES Bianchi Oltre XR 4

Wie gesagt habe ich nur den Rahmen gekauft und wie stets das Rennrad nach meinen Vorlieben gebaut. Viel musste ich gar nicht zusätzlich kaufen, da noch einige passende Teile in der Werkstatt auf den Einbau warteten.

Ein Canyon Rennrad hatte ich gerade verkauft und zuvor die daran befindliche SRAM Etap gegen eine Ultegra gewechselt sowie auch Sattel und Lenker ausgetauscht. Somit war klar, dass die SRAM Etap das Schalten am Bianchi Oltre XR 4 übernehmen wird. Hinzu kam meinen Lieblingslenker, der ENVE Aero SES und ein Selle Italia Kit Carbonio Flow Sattel.

Eine Aero Sattelstütze gehört zum Rahmen, so dass nun nur noch Bremsen, Kurbel und Laufräder fehlten. Die Laufräder musste mein Engage Rahmen abgeben. Da er über den Winter sowieso auf dem Smart Trainer steht, benötigte er die Campagnolo Bora Ultra 35 Tubular Laufräder nicht. Sie passen auch optisch perfekt zum Bianchi.

Bremsen und Kurbel musste ich allerdings noch kaufen. Ich entschied mich für schwarze Anbauteile und merkte erst später, welchen Frefel ich beging. Passend fand ich die aktuellen Shimano DuraAce Bremsen (Direct Mount) und eine Rotor 3D+ Kurbel.

Das Rad vereint also nun alle „grossen“ Hersteller. Campa Laufräder, Shimano Bremsen, SRAM Schaltung und Rotor Kurbel. Für einige sicherlich ein NoGo. Mich stört es nicht und gemerkt hat es bisher auf meinen Reisen auch niemand.

Um es komplett zu machen. Der Vorbau ist wie der Lenker von ENVE, der Garmin Halter ebenfalls. Aktuell fahre ich Conti Competition Schlauchreifen in 25er Breite.

Wie fährt sich das Bianchi Oltre XR 4?

Wie oben schon angedeutet war ich gespannt, wie sich das Bianchi Oltre XR 4 im Vergleich zu meinen anderen Rädern fährt. Beworben wird es ja mit einer speziell dämpfenden Carbonverarbeitung, genannt Countervail. Dazu soll es noch einmal Aerodynamischer sein als die vorherigen Oltre. Gegenüber dem Oltre XR 2 soll es satte 20 Watt einsparen. Unter welchen Bedingungen auch immer.

Was den Komfort angeht, da kann es trotz der wuchtigen Aero-Sattelstütze mit meinen Canyon und meinem Rose problemlos mithalten. Es wirkt gar, dass vor allem feine Vibrationen, wie zum Beispiel bei rauhem Asphalt, besser absorbiert werden. Bei der Steifigkeit zeigt es sich meinen anderen und bishereigen Rädern klar überlegen. Hier fühlt es sich tatsächlich so an, als würde jeder Pedaltritt über die kräftigen Rohre noch direkter in Vortrieb umgesetzt. Und dies bei sehr hoher Fahrstabilität.

Beim reinen Fahrverhalten empfinde ich es daher klar vor allen Rädern, welchi ich bisher besass oder gefahren bin. Es ist wunderbar agil, liegt aber dennoch sehr satt und unaufgeregt auf der Strasse. Mit hohem Tempo durch Täler ist auch bei schlechterem Asphalt völlig unproblematisch. Hier und vor allem auch auf Abfahrten zeigt es eine enorme Laufruhe und eine sehr hohe Zielgenauigkeit.

Da die anderen Rahmen mindestens 2-3 Jahre älter sind, kann es aber gut sein, dass die heutigen Canyon und Rose Räder auch in manchen Belangen noch einmal besser geworden sind.

Ob das Bianchi Oltre XR 4 in einem Tour, Rennrad oder Roadbike Test vorne mit dabei wäre? Ich zweifle dran, was meiner Meinung nach jedoch am Test und nicht am Bianchi liegen würde.

Mir wäre es auch egal. Mich interessiert, wie sich das Rad für MICH anfühlt. Und da finde ich es absolut prima und es sieht dazu (Auch wiederum für MICH) noch 1000 Mal besser aus als jedes andere Rad in meinem Keller.

Gibt es Minuspunkte für das Bianchi Oltre XR 4?

Bisher konnte ich erst zwei Punkte finden, welche mir nicht so gefallen.

Zum Einen ist es die Abdeckung für die Zug-Integrierung unter dem Tretlager. Sie ist nur an einer Stelle geschraubt und hält am anderen Ende wohl normalerweise durch die Züge. Da ich dort aber auf Grund der SRAM Etap gar keine Züge habe, schliesst sie nicht ganz fest ab. Die bisherigen Kilometer zeigen jedoch, dass sie scheinbar trotzdem dicht genug ist und sich kein Dreck darin sammelt.

Der andere Punkt betrifft die tropfenförmige, aerodynamisch geformte Abdeckung von FSA unter den Spacern. Sie bewegt sich mit der Zeit bei mir nach Links, so dass ich sie immer wieder mit etwas Kraft an den richtigen Ort drehen muss. Woran es liegt und warum stets nach Links, habe ich noch nicht herausgefunden (Inzwischen behoben, siehe Update weiter unten).

Fazit

Der Preis für das Rahmenset ist definitiv hoch. Dafür habe ich aber das bekommen, was ich haben wollte. Einen Top Rahmen für ein Rennrad, welches für mich einfach nur toll aussieht und ein prima Fahrverhalten, egal wo, zeigt. Schnell, komfortabel und stabil. Dazu die Markengeschichte und ein Hauch von Italien unter dem Sattel. Ich würde es sofort wieder kaufen.

Ob man sich für das Bianchi Oltre XR 4, ein anderes Bianchi, ein Pinarello, ein de Rosa, ein Trek oder doch ein Canyon oder Rose entscheidet, muss jeder selber wissen. Ich denke, alle bauen heute super Rennräder und jeder wird in seiner Preisklasse finden, was am besten gefällt und passt.

Update 25.6.2018:  Das Bianchi hat eine 41mm Innenlageraufnahme. Die Rotor 3D+ eine 30mm Achse. Ich habe daher ein Rotor 4130 Innenlager verbaut, was diese beiden Standards vereint. Nach gut 2500 Kilometern begann ein Knacken, was sich auf das Innenlager zurückführen liess. Dies hatte ich an einem früheren Rad bei der selben Kombination 41mm/30mm Achse auch schon einmal. Meine Vermutung ist, dass die kleineren Kugeln im Innenlager weniger haltbar sind. Ich werde daher zukünftig solche Kombinationen vermeiden. An das Bianchi kommt nun eine SRAM Red Kurbel mit 24mm Achse und GXP Innenlager.
Das Problem mit der FSA Aero Abdeckung hat sich auch gelöst. Nachdem ich irgendwann das Lagerspiel nachgestellt habe, war das Verdrehen plötzlich weg.

Update 6.10.2018: Das hier abgebildete Bianchi wurde mir leider im Frühjahr in der Toskana gestohlen. Da ich jedoch sehr zufrieden mit dem Rad war habe ich es fast 1:1 wieder so neu aufgebaut. Ich habe lediglich wie im letzten Update schon beschrieben statt der Rotor Kurbel eine SRAM Red GXP Kurbel verbaut. Dazu statt dem Selle Italia Sattel einen Fizik Sattel. Ansonsten ist alles identisch. 

Ein Beitrag von:
Lutz Goldbecker
Schweizer Deutscher der auch sehr gerne in Italien oder Frankreich Rennrad fährt.
5 Kommentare
    • Lutz sagte:

      Hallo Reto
      Mit Frevel meinte ich nicht die schwarzen Anbauteile sondern den Mix aus Shimano, SRAM, Campagnolo und Rotor. Das wäre für manchen ein NoGo…
      Gruss, Lutz

      Antworten
  1. Dirk sagte:

    Schönes Radl, schöner Bericht!
    Nachdem mein 928 Superleggera Rahmen, nach einem Unfall defekt ist, steht das XR4 oder Specialissima ganz oben auf meiner Liste. Ich konnte leider noch keinen der beiden life bewundern.
    Derzeitig sind mir die Rahmen allerdings noch definitiv zu teuer und ich hoffe auf ein „Winterschnäppchen“.
    Als Zwischenlösung habe ich mir ein Focus Izalco Max aufgebaut, technisch super aber mir fehlt das italienische Flair.

    Gruß
    Dirk

    Antworten
  2. Jürgen sagte:

    Hallo Lutz,

    darf ich fragen wie Groß Du bist?
    Ich hab auch im Verhältnis ein kurzen Oberkörper zur Schrittlänge.
    Daher meine Frage.

    Ich bin 179cm
    meine Schrittlänge 84 , sprich Mitte Tretlager zu Oberkante Sattel 75cm
    Meine Sattelüberhöhung ist nicht so hoch, nur 6,5cm

    Bekommt man das mit dem 57er hin ?

    Gruß
    Jürgen

    Antworten
    • Lutz sagte:

      Hallo Jürgen

      Unsere Grösse ist schon mal identisch. Ich messe auch exakt 179 cm.

      Schrittlänge ist bei mir sogar noch etwas grösser. Ich habe eine 88er, dazu auch noch recht lange Arme.
      Daher ist der eigentlich recht sportliche Rahmen in 57er Grösse für mich trotz 8.5 cm Sattelüberhöhung (77.5 Tretlager/Sattelmitte) eine „normale“ Geometrie. Nicht zu gestreckt und nicht zu aufrecht. Für mich prima. Habe einen 110er Vorbau dran.

      Ich habe den Lenker (inzwischen) ganz unten. Daher keinen Spacer mehr drunter. Werde den Gabelschaft im Winter auch entsprechend kürzen.

      Beim Kauf habe ich auch zum Vergleich mal auf einem 55er mit 110er Vorbau gesessen der dort als Komplettrad im Laden stand. Beim 55er ist das Steuerrohr einiges kürzer. Da war die Überhöhung für mich dann doch schon sehr krass und ich hätte einen längeren Vorbau gebraucht (voraussichtlich 130er). Kam für mich nicht in Frage.

      Ich kann das Rad weiterhin empfehlen. Würde es bei den Rahmenpreisen für die Scheibenbremsvariante auch wieder als Felgenbrems-Rahmen kaufen. Mit den Campa-Bora Laufrädern vermisse ich da, ausser bei Starkregen den ich eh versuche zu vermeiden, nichts (Ich habe als Vergleich ein Rose RR mit Scheibenbremsen).

      Viel Spass und Freude mit dem Bianchi
      Gruss, Lutz

      Antworten

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