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Mein Alpenbrevet: Adrians Bericht von der Platinrunde

Adrian ist 29 Jahre alt und lebt und arbeitet in Bern als Journalist. In dieser Funktion berichtet er auch regelmässig aus der Welt des Radsports, beispielsweise mit einer Artikelserie rund um den Besuch der Tour de France in Bern 2016. Er ist ein reiner Hobbyfahrer ohne Lizenz. Als leidenschaftlicher Rennradfahrer ist er immer wieder wieder als Guide auf einer Cycling-Adventures-Reise anzutreffen.

Im August 2017 hat er erfolgreich die Platinstrecke des Alpenbrevet bestritten. Das Alpenbrevet gehört mit 276 Kilometern und mehr als 7000 Höhenmetern zu den anspruchsvollsten Radmarathons in den Alpen. Start und Ziel befinden sich in Meiringen im Berner Oberland, von dort geht es über die Zentralschweizer Monumente Grimselpass, Nufenenpass, Lukmanierpass, Oberalppass und Sustenpass zurück nach Meiringen. Aufgrund des sportlichen Anspruchs und der imposanten, hochalpinen Szenerie gehört das Alpenbrevet neben dem Ötztaler Radmarathon zu den ganz grossen Trophäen, die Hobbyrennradfahrer und -rennradfahrerinnen zu ihrem Palmarès hinzufügen möchten. Adrian hat es geschafft, und es interessiert sicher viele, die sich dieses Ziel noch vorgenommen haben, was er am Wettkampftag erlebt hat und wie er sich vorbereitet hat.

Lukas (Cycling Adventures): Adrian, erstmal Gratulation, dass du die Alpenbrevet-Platinrunde erfolgreich absolviert hast. Ich bin diese Runde vor vielen Jahren von Innertkirchen gefahren, und weiss, was das für eine körperliche und mentale Leistung ist. Erzähl mir doch zuerst, wie und wann du zum Rennradfahren gekommen bist?

Adrian: Ich war 18, als ich mir auf Ebay mein erstes Rennrad gekauft habe: Einen Noname-Alurahmen, den ich als Winterrad immer noch im Einsatz habe. Schon zuvor bin ich aber gerne Rad gefahren. Mit 15 oder 16 bin ich mit Freunden in vier Tagen von Bern über Grimsel- und Nufenenpass ins Tessin gefahren. Das Gefühl, auf der Passhöhe zu stehen und dort mit dem Fahrrad hinauf gelangt zu sein, war einfach grossartig. In den Jahren darauf begann ich dann zu ahnen, dass das mit einem Rennrad noch viel mehr Spass macht.

Lukas (Cycling Adventures): Wieviele Kilometer fährst du pro Jahr und wie sieht dein „normales“ Rennradjahr etwa aus?

Bei der Vorbereitungswoche an der Côte d’Azur

Adrian: Ich bin in den letzten Jahren zwischen 4000 und 7000 Kilometer pro Jahr gefahren. Dieses Jahr werden es etwas mehr als 7000. Ich fahre auch im Winter, wann immer es die Bedingungen zulassen. Letztes Jahr habe ich das Crossen entdeckt, so dass ich jetzt auch bei Schnee und Regen gerne eine Runde drehe. Dass sich so nie eine Pause von ein oder zwei Monaten ergibt, hat den Vorteil, dass ich fit bleibe. Aber es führt auch dazu, dass sich nicht automatisch ein Formaufbau auf die neue Saison hin ergibt. Wenn es richtig kalt ist, habe ich keine Lust, Grundlagen zu trainieren. Aber im Februar oder März versuche ich dann jeweils, ein paar Wochen lang den Puls tief zu halten. Der Fixpunkt im Mai ist die Ligurien-Woche von Cycling Adventures. Dieses Jahr war ich zusätzlich schon im März an der Côte d’Azur und im Juni im Jura als Guide unterwegs. Ansonsten fahre ich nach Lust und Laune bei mir zuhause.

Lukas (Cycling Adventures): Was betreibst du sonst noch für sportliche Aktivitäten?

Adrian: Dank meiner Freundin habe ich wieder Freude am Laufen gefunden, so dass ich jetzt auch etwa einmal pro Woche ohne Velo hinaus gehe. Daneben mache ich mehr oder weniger regelmässig Krafttraining, im Winter fahre ich Ski. Und im vergangenen Sommer habe ich meine Leidenschaft fürs Gleitschirmfliegen entdeckt. Damit werde ich im nächsten Jahr wohl viel Zeit verbringen, was sich eher negativ auf die Rennrad-Performance auswirken dürfte…

Lukas (Cycling Adventures): In der Regel stellt das Alpenbrevet ja einen sportlichen Jahreshöhepunkt dar und man richtet seine Saisonplanung früh danach aus. Dein Rennradjahr sah also 2017 sicher etwas anders aus als gewohnt. Erzähl uns etwas über die Planungsphase.

Adrian: Meine Planung fiel ehrlich gesagt eher spärlich aus. Ich habe seit Jahren davon geträumt, am Alpenbrevet teilzunehmen, und es war für mich immer klar, dass etwas anderes als die Platinrunde nicht infrage kommt. Aber ich habe nie mein Jahr oder meine ganze Freizeit danach ausrichten wollen. So war ich in den entscheidenden Sommermonaten oft auf Reisen und habe mich deshalb gar nicht erst zum Alpenbrevet angemeldet. Dieses Jahr hat dann alles zusammengepasst: Ich hatte nach dem Frühjahr zwei- oder dreimal so viele Kilometer beisammen wie sonst. Und ich hatte im Sommer Zeit, weiter zu trainieren.

Lukas (Cycling Adventures): Welche Hilfsmittel setzt du im Training ein? Fährst du mit Leistungsmessung und Trainingsplan?

Im Februar schon 700 Kilometer in einer Woche an der Côte d’Azur / Provence-Alpes

Adrian: Ich fahre nur mit Pulsmessung. Mit dem ganzen Leistungsmessungs-Thema habe ich mich bisher nicht auseinandergesetzt. Und Trainingspläne mag ich nicht. Rennradfahren hat für mich auch viel damit zu tun, die Landschaft zu geniessen und immer wieder neue Touren zu entdecken. Das ist mit den Vorgaben eines Trainingsplans oft schlecht zu vereinbaren. Etwa anderthalb Monate vor dem Alpenbrevet habe ich mir dann doch noch ein Trainingsbuch gekauft und versucht, mich einigermassen an einen Plan zu halten.

Lukas (Cycling Adventures): Gab es Krisen während der Vorbereitung?

Adrian: Bis anderthalb Wochen vor dem Rennen fühlte ich mich bärenstark. Doch dann hatte ich auf einmal den Eindruck, ich hätte mich übernommen mit dem Training. Ich fühlte mich ausgelaugt, war etwas erkältet. Zum Glück kam die Zuversicht am Tag vor dem Wettkampf zurück.

Lukas (Cycling Adventures): Wie ist das gelungen?

Adrian: Ich habe ein paar Trainings ausgelassen und mich ausgeruht. Das ist mir schwergefallen, doch es hat sich gelohnt. Erst an diesem letzten Tag vor dem Rennen war ich nochmals eine Stunde auf dem Rad.

Lukas (Cycling Adventures): Ich erinnere mich sehr deutlich an die Nacht, bevor ich die Platinrunde gefahren bin. Am Abend hatte ich mit einem Mitstreiter noch ein lustiges Abendessen mit ein paar Gläschen Rotwein zwecks Beruhigung. In der Nacht haben wir dann trotzdem beide kein Auge zu getan. Ich empfand diese Vorbereitung damals als, sagen wir, etwas suboptimal. Sobald ich aber auf dem Rad sass, war das alles vergessen. Wie hat deine Nacht ausgesehen?

Adrian: Den Rotwein habe ich ausgelassen, aber besser geschlafen habe ich deswegen nicht. Ich habe geschwitzt wie blöd und bin stundenlang wach gelegen. Ich war richtig froh, als kurz nach 4 Uhr endlich der Wecker klingelte.

Lukas (Cycling Adventures): Wie ist es dir danach im Wettkampf ergangen?

Beim Trainingslager in Ligurien im Mai

Adrian: Der Tag hat mich immer wieder überrascht. Zum Beispiel hat es fünf Minuten nach dem Start zu regnen begonnen, nachdem seit Tagen schönes Sommerwetter angesagt war. Zum Glück ist das Gröbste aber an uns vorbeigezogen. Insgesamt habe ich mich während des Rennens richtig gut gefühlt. Grimsel und Nufenen habe ich zügig geschafft. Dann kam die 60 Kilometer lange Abfahrt nach Biasca, auf die ich mich gefreut hatte, und in der ich dann auch eine richtig gute Gruppe erwischte. Ich habe erwartet, dass am Lukmanier das grosse Leiden beginnen und danach immer schlimmer werden würde. Aber es kam anders. Der Lukmanier ging noch gut, der Oberalp war dann richtig übel: Ich war alleine, hatte Gegenwind, und auf der Passhöhe begann es zu schütten wie aus Eimern. Ich stellte mich auf drei schlimme letzte Stunden ein. Doch dann fühlte ich mich am Sustenpass auf einmal, als wäre ich gerade erst losgefahren. Dass mir gegen Ende der Auffahrt auch noch Hagel auf den Helm prasselte, machte das Abenteuer perfekt. Nach dem Tunnel auf der Passhöhe schien auf einmal die Sonne auf die nasse Strasse. Ich rollte ein paar Augenblicke lang vor mich hin und genoss die mystische Szenerie. Dann stürzte ich mich in die Abfahrt.

Lukas (Cycling Adventures): Kannst du uns etwas zur Organisation des Events erzählen? Wie verläuft der Start, die Zeitnahme, wo gibt es Verpflegungsstellen und was bieten sie an? Das wird sicher viele Leser interessieren, die sich zum Alpenbrevet anmelden möchten.

Im Trainingslager im März en der Côte d’Azur/Provence-Alpes gibt Adrian Gas

Adrian: Alle 2500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gehen um 6.45 Uhr gleichzeitig auf die Strecke. Um das Chaos etwas einzudämmen, ist man gehalten, sich anhand der erwarteten Durchschnittsgeschwindigkeit einzureihen. Eng und hektisch wird es auf der Strecke aber nicht vor allem wegen der anderen Radfahrer, sondern, weil die Pässe für den übrigen Verkehr nicht gesperrt sind. Auf der Platinstrecke gibt es neun Verpflegungsposten, was mehr als genug ist – ich habe etwa bei jedem zweiten angehalten. Zu Essen und Trinken gibts das Übliche: Iso, Riegel, Gels, Bananen. Dazu Brühe, Brot, Käse, Biberli und Schokolade. Das süsse Zeug ist mir zum Ende ziemlich aus dem Hals gehangen.

Lukas (Cycling Adventures): Du hast es angesprochen: Die Pässe werden fürs Alpenbrevet nicht gesperrt. Gab es deswegen gefährliche Situationen?

Die zweite Prüfung des Tages ist der Nufenenpass

Adrian: Der Verkehr ist vor allem mühsam. Bergauf halten die Radfahrer die Autos auf, bergab ist es umgekehrt. Ich glaube nicht, dass das Rennen deswegen viel gefährlicher wird. Aber klar, es kommt immer wieder zu wilden Überholmanövern.

Lukas (Cycling Adventures): Hast du andere kritische Situationen erlebt? Das Alpenbrevet ist ja ein Marathon mit Zeitnahme und kein Rennen. Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass unterwegs Renn-Fieber aufkommt.

Adrian: Ja, für mich macht das Wettkampf-Feeling einen grossen Teil des Reizes eines solchen Anlasses aus. Davon lasse ich mich immer wieder zu schnellen Abfahrten verleiten. Zum Glück ist es zu keinen gefährlichen Situationen gekommen.

Lukas (Cycling Adventures): Was hast du nach der Zieldurchfahrt und am Abend gemacht. Wie war dein emotionaler Zustand?

Die Sonne lacht in der Auffahrt zum Lukmanier

Adrian: Im Ziel war ich zufrieden, aber überschwängliche Freude kam nicht auf. Wohl hatte ich dazu schlicht keine Kraft mehr, auch wenn ich das da noch nicht wusste. Erst fühlte ich mich, als könnte ich jetzt easy noch ein paar Pässe dranhängen. Doch schon auf dem Rückweg von der Dusche ging ich auf einmal wie ein alter Mann. Auf dem Heimweg war mir schlecht und ich brachte kaum einen Bissen runter, obwohl ich dringend Energie brauchte.

Lukas (Cycling Adventures): Der Mitstreiter, mit dem ich damals die Runde gemacht habe, kam aus Hamburg. Und es war sein erstes Mal, dass er in den Alpen unterwegs war. Er hat die Runde mit der letzten Kraft zu Ende gebracht. Es war eine wahnsinnige Willensleistung von ihm. Danach hat er das Rad in den Keller gestellt und, soviel ich weiss, war es leider mehr oder weniger das Ende seiner Rennradleidenschaft. Wie sieht es bei dir aus? Ich hoffe, das ist bei dir nicht passiert?

Der Oberalppass – hier sind die Beine schwer

Adrian: Nein, da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich war in den Tagen danach richtig glücklich, es geschafft zu haben und es auf diese coole Art und Weise geschafft zu haben. Das erwartete ganz grosse Leiden ist ja ausgeblieben. Nach einer Woche habe ich mich gefreut, wieder aufs Rad zu steigen.

Lukas (Cycling Adventures): Was sind deine nächsten Ziele? Ist es so, dass du heiss darauf bist, das Alpenbrevet nächstes Jahr wieder zu fahren, hast du dir andere Rennradziele gesetzt oder ist das alles im Moment kein Thema?

Adrian: Ich habe im Moment keine Ziele. Gerade bin ich wieder viel am Crossen und ich habe Lust, diesen Winter mal an einem Querfeldeinrennen teilzunehmen. Und danach freue ich mich auf die Frühjahrsreisen mit Cycling Adventures. Ob ich mir dann wieder etwas grosses vornehme, weiss ich noch nicht.

Zileinfahrt in Meiringen

Lukas (Cycling Adventures): Danke Adrian, dass du dir die Zeit für das Interview genommen hast. Ich wünsche dir auch in Zukunft viele sturzfreie Kilometer und viel Spass auf dem Rad.

Adrian: Vielen Dank, das wünsche ich dir auch.

Adrian hat die Platinrunde des Alpenbrevet in einer Zeit von 12:10:21gefinished.

Adrian, Cycling-Adventures-Guide, interviewt von Lukas. Adrian kann man 2018 an der Côte d‘Azur, in Ligurien und im Jura treffen.

 

Ein Beitrag von:
Lukas Kamber
Italophiler Schweizer. Geboren in einem kleinen Bauerndorf nahe Bern, war das Rad von Kind an ständiger Begleiter zwecks Mobilität. Viel zu spät – dafür umso intensiver – die Liebe zum Rennrad wiederentdeckt und damit das Naturerlebnis in den Bergen. Aktuell sind offroad Entdeckungsfahrten mit dem Gravelbike hoch im Kurs.
4 Kommentare
  1. Sven sagte:

    sehr interessant und vor allem tolle und schöne Fotos! Nur ne Frage zwischen druch. Würdest du lieber Radfahren bergaufwärts oder landesweit auf der ebenen STraße zum Abnehmen bevorzugen ?

    Antworten
    • Lukas sagte:

      Hallo Sven,
      da man zum Abnehmen primär den Fettstoffwechsel aktivieren sollte statt die Zuckerspeicher zu verbrennen, sollte man ja lange bei eher tiefen Intensitäten fahren. Am Berg ist man oft genötigt, eine minimale Geschwindigkeit zu fahren um nicht vom Rad zu fallen, wobei die Intensität für effizienten Fettstoffwechsel schon überschreitet. Das kann dann darin enden, dass der Blutzuckerspiegel absackt und man den Griff zur Cola oder Riegel oder Gel macht, was dem Abnehmen nicht zuträglich ist. Die Intensität lässt sich im Flachen natürlich viel besser dosieren, daher erscheint mir fürs Abnehmen eine lange Fahrt im Flachen deutlich sinnvoller.

      Viel Erfolg, Lukas

      Antworten
  2. Matthias sagte:

    Das mit dem Rennfieber in den Abfahrten hatte ich auch gesehen. Ich hab ziemlich viel Pässe-Erfahrung und lasse in den Kehren immer eine Sicherheitsmarge (die ich auch schon mal ausnutzen musste). Bei der Abfahrt im Nufenenpass sind zwei Leute in den ersten beiden engen Rechtskurven an mir vorbei geschossen. Der Zweite war in der nächsten Linkskurve mit geschätzt 50 km/h über die Leitplanke geflogen. Mir war ein Stein vom Herzen gefallen als er wieder aufgestanden war und den Hang hoch gekraxelt war, das hätte auch anders ausgehen können.

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